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FORSCHUNGEN

ZUR

DEUTSCHEN THEATERGESCHICHTE

DES MITTELALTERS UND DER RENAISSANCE

VON /

MAX HERRMANN

MIT 129 ABBILDUNGEN

HERAUSGEGEBEN MIT UNTERSTÜTZUNG DER GENERALINTENDANTUR DER KÖNIGLICHEN SCHAUSPIELE

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BERLIN WEIDMANNSCHE BUCHHANDLUNG 1914

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Vorwort.

Manchem Leser mag die unten folgende Einleitung dieses Buches zu anmaßend erscheinen: möge er sich durch das hier im Vorwort gebotene Bekenntnis versöhnen lassen, daß der Ver- fasser sich durchaus bewußt ist, in nicht wenigen Punkten die Nachsicht des Lesers sehr in Anspruch nehmen zu müssen.

Den Forderungen nämlich, welche die hier angewendeten Metho- den an die Vielseitigkeit des Forschers stellen, ist ein Einzelner kaum gewachsen. Auf einer Reihe nicht eben gleichartiger Gebiete der Kultur und der Kunst müßte er völlig zu Hause sein; ganz beson- ders verlangt die Notwendigkeit, vergleichende Künstegeschichte zu treiben, eine gründliche Schulung auf dem Gebiete der Bild- kunst, und ich weiß nicht, ob der Fachmann hier mit dem rrach- ti-äglich Erworbenen immer einverstanden sein wird, auch wenn er im Auge behält, daß die Auseinandersetzungen des Buches eigent- lich nirgends mit dem Anspruch auftreten, die Bildkunstgeschichte selbst zu fördern. Aber auch auf dem Felde der Literaturgeschichte wird durch die unabweisbare Forderung, über die Grenzen des Nationalen hinauszublicken, eine Fülle der Kenntnisse vorausgesetzt, die vielleicht nur W. Creizenachs von mir immer wieder neu be- staunte Allbelesenheit besitzt, und es ist mir fraglich, ob mein instinktives Bemühen, die fremdnationalen Leistungen möglichst auszuschalten und neben dem Deutschen zunächst nur das Inter- nationale zu berücksichtigen, überall das Richtige getroffen hat. Endlich mag im zweiten Teil auch die Heranziehung des Materials Lücken aufweisen: es ist mir nicht gegeben gewesen, durch syste- matisch vorgenommene Forschungsreisen eine wirkliche Vollständig- keit herbeizuführen.

Eine Anzahl anderer Mängel hängt mit der zeitlichen Ent- stehung des Buches zusammen. Seine Anfänge reichen in das Jahr 1901 zurück; im Jahre 1909 war es zum größten Teil, aber eben doch noch nicht ganz vollendet, und eben in diesem Jahre sah ich mich genötigt, zu meiner ausgebreiteten akademischen Tätigkeit auch noch die Schriftleitung der „Gesellschaft für deutsche Er- ziehungs- und Schulgeschichte" zu übernehmen. So beschloß icii. mich selbst zum Abschluß des Buches zu zwingen, indem ich die Drucklegung alsbald beginnen ließ. Das Nebeneinanderhergehen des Druckes und der Arbeit am Manuskript hat nun einige Wider- sprüche der Darstellung herbeigeführt, auf die am Schluß des Buches, S. 525 ff., besonders aufmerksam gemacht ist; an der

YJ Vorwort.

gleichen Stelle sind auch literarische Nachträge notiert, die eben- falls durch jene lange währende Entstehung notwendig gemacht wurden. Vor allem aber hätte ich, wenn die Drucklegung des Ganzen auf den Abschluß des Manuskripts hätte warten dürfen, die umfangreichen Auseinandersetzungen über die mittelalterliche Schauspielkunst, die ursprünglich nur als eine Hilfs- und Neben- untersuchung gedacht waren, wie das Buch so manche enthält, die sich dann aber während des Druckes zu selbständigem Leben aus- wuchsen, in eine besondere Abteilung verwiesen, während sie jetzt den Fluß der Gesamtdarstellung empfindlich unterbrechen. In dem unten folgenden Inhaltsverzeichnis sind diese Erörterungen durch besonderen Druck ebenso wie ein gleichfalls etwas zu lang geratener Einschub des zweiten Teils als eigentlich selbständige Abschnitte gekennzeichnet. Dagegen mußte, da durch jene Erweiterung der Umfang des Buches schon stark angeschwollen war, ein ursprüng- lich geplanter, S. 15 Anm. 4 auch bereits erwähnter Anhang un- gedruckt bleiben : das Ergebnis einer Kollation der Hans Sachsischen Handschriften mit dem gedruckten Text in bezug auf die szenischen Bemerkungen, deren Varianten in Goetzes sonst so vortrefflicher Hans-Sachs-Ausgabe gar nicht oder nur in sehr willkürlicher Aus- wahl mitgeteilt werden. Ich werde meine Zusammenstellungen der Handschriftenabteilung der Berliner Königlichen Bibliothek über- geben, wo sie dem Forscher ohne weiteres zur Verfügung stehen sollen.

Für die Ermöglichung jenes Verfahrens der vorzeitigen Druck- legung, ohne die das Buch vermutlich auch heut noch unvollendet sein würde, bin ich der Weidmannschen Buchhandlung zu besonders tief gefühltem Dank verpflichtet : sie hat mit dem ihr so oft nach- gerühmten Verständnis für die Schwierigkeiten, unter denen wissen- schaftliche Arbeit mitunter zustande kommt, aller Verzögerung gegenüber unerschütterliche Geduld bekundet. Mein ergebenster Dank gebührt ferner dem Generalintendanten der Königlichen Schau- spiele zu Berlin, Seiner Exzellenz dem Herrn Grafen von Hülsen- Haeseler, der sein lebhaftes Interesse für die junge Theater- wissenschaft zu Gunsten des vorliegenden Buches bekundete: zur Herstellung der unentbehrlichen Illustrationen überwies er mir gütigst die von Seiner Majestät dem Kaiser und König zur Heraus- gabe eines Werkes über die Geschichte des deutschen Theaters bewilligte Summe von 1 ()()() Mark. Ein letzter, ganz besonders herzlicher Dank endlich kann hier nicht ausgesprochen werden, weil der, dem er zukommt, sich seine öffentliche Bekundung mit aller Entschiedenheit verbeten hat.

Berlin, Weihnachten 1913.

Max Herrmann.

Inhalt.

Einleitung

Seite 1

Erster Teil:

Das Theater der Meistersinger von Nürnberg. Erstes Kapitel: Zuschauerraum und Bühne 11

Die Anlage der Bühne S. 13. Die Nürnberger ^Nlarthakirche als theatra- lischer Schauplatz S. 14. Nürnberger Aufführungen 1527—1550 S. 14. Die Marthakirche einst und jetzt S. 16. Inneres der Kirche S. 18. Das Predigerkloster als Aufführungsort S. 20. Der Altarraum der Marthakirche als Bühnenraum S. 21. Podium und Abschlußvorhang S. 23. Hans Sachsens Drama. Personenzahl. Raum hinter der Bühne S. 23. Auf- und Abgänge , Richtungen des Auftretens und Abgehens S. 24. Terminologie der szenischen Bemerkungen S. 28. „Eingehen" und „kommen" S. 29. Das Buch des Inspizienten S. 35. Die Sakristei S. 36. Das Podium S. 37. Podium und Stufen S. 38. Zwei Auftrittsorte S. 38. Auftrittsort kämpfender Heere S. 39. Stellung des Ehrnholts S. 40. Abgehen aller Personen am Schluß. Kanzel und Chorstuhl S. 43. Das Sitzen auf dem Theater S. 45. Nochmals die Terminologie der szenischen Bemerkungen S. 49. Unregelmäßigkeiten S. 50. Der dritte Bühnenaufgang S. 50. Sakristei und Bühne S. 53. Die zweite Sakristeitür als Höhle, Ofen, Grab, Fluß S. 54. Die ganze Bühne S. 55. Zweites Kapitel: Dekorationen, Requisiten, Kostüme 57

Dekorationen S. 57. Theatervorhang? S. 57. Abtragen der Toten S. 58. Die Raumverhältnisse. Möglichkeit einer Hinterdekoration S. 60. Dekorationsmaterial. Teppiche S. 61. Dekorationsmalerei für Festlichkeiten S. 62. Theaterdekorationen in Italien und Deutschland S. 64. Die Phantasie des Publikums in bezug auf die Vorstellung der Landschaft, be- obachtet an Holzschnitten und Volksliedern S. 66. Hans Sachsens Phan- tasie S. 67. Dekorationsforderungen der szenischen Bemerkungen S. 68. Die Tür als Requisit S. 69. Dialog und Phantasie S. 73. Innenraum und Landschaft S. 75. Requisiten S. 78. Die Materialfrage S. 79. Holzschnitzerei und Wachsplastik S. 82. Köpfe und Götterbilder S. 82. Tiere auf der Bühne S. 84. Kinder auf der Bühne S. 86. Das Schiff S. 87. Feuerwerk S. 90. Lokal- und Personalfrage. Herbeischaffung der Requisiten S. 91. Aufbewahrungsraum S. 92. - Wegschaffung der Requisiten S. 97. Abtragen der Toten S. 98. Keine Theaterdiener

S 101. Kostüme S. 102. Kostüme in Hans Sachsens Erzählungen

S. 103. Interesse der Zeit für die Tracht S. 104. Einzelne Trachten- y bilder seit dem Ausgang des 15. Jh. S. 105. Handschriftliche Trachten- ^ bücher höfischen und bürgerlichen Ursprungs S. 106. Ethnologische Inter-

VIII Inhalt.

Seite essen S. 107. Spanische Trachtenbilder augsburgischen Ursprungs S. 108. Trachteninteresse in Nürnberg. Sigismund Heldts Trachtenbuch S 111. Trachten in der Bücherillustration S. 114. Theaterkostüm im Mittelalter S. 114. Kostüm des geistlichen Theaters im 16. Jh. S. 117. Das Theater- kostüm des 16. Jh. und das neue Interesse an der Tracht S. 118. Theater- kostüni bei der Aufführung weltlicher Dramen S. 119. Hans Sachsens Theaterkostüme: Tradition und Neuerungsspuren S. 120. Ausländische Tracht. Götter und Heroen S. 121. Das typische Attribut als Kostümmittel S. 122. Naive Benutzung des Zeitkostüms; Mangel an Phantasie S. 124. ~ Stoff und Farbe S. 126. Wiederbelebung Hans Sachsischer Bühnentrachtea S. 128. Kostümliche Betrachtung: der Drache S. 130. Umkleidung und Unterkleidung S. 131. „Rüstung" der „Stulticia" S. 133.

Drittes Kapitel: Die Schauspielkunst 137

Terminologischer Sinn der szenischen Bemerkungen. Zwei schauspielerische Stile: Drama und Fastnachtspiel S. 137. Vollständigkeit der szenischen Bemerkungen S. 139. Meistersängerische Schauspielkunst. Verzicht auf Individualisierung S. 141. Die Rollen des Schmidtlein S. 142. Gründe für die Rollenzuteilung S. 145. „Gestus" und Aktion S. 146. Die Aktion auf Hans Sachsens Bühne S. 147. Kämpfe auf der Bühne. Vorbild des Turniers S. 148. Pathetische Pose S. 151. Darstellung rein körperlicher Erlebnisse S. 152. Sterben, Schlafen, Kranksein im ernsten Drama S. 152. Körperliches im Fastnachtspiel S. 156. Körper- liches in Hans Sachsens epischer Dichtung S. 157. Körperliches auf dem mittelalterlichen Theater S. 159. Das seelische Erleben: die Inhalte der Darstellung. Gruß. Leben der Sinne S. 161. Gefühlsleben. Mehr Lust als Unlust. Mehr Zuneigung als Abneigung S. 162. Lyrisch-pathe- tischer Stil im ernsten Drama S. 163. Die psychischen Inhalte der Dar- stellung auf dem mittelalterlichen Theater S. 163. Dramentexte des Mittel- alters als Untersuchungsmaterial S. 164. Besonderheiten der mittelalterlichen Schauspielkunst S. 165. Ihre seelischen Inhalte S. 166. Die Mittel der Darstellung in der nürnbergischen Schauspielkunst. Akustisches. Weinen, Seufzen S. 167. Lachen, Schreien S. 168. Gefühlsmäßige Färbung des Vortrags im ernsten Drama und im Fastnachtspiel S. 169. Gefühlsmäßige Färbung im mittelalterlichen Schauspiel S. 172. Stärke der Stimme auf dem mittelalterlichen Schauplatz S. 173. Körperhaltung bei Gefühlserregungen auf Hans Sachsens Bühne S. 174. Schauspielerische Autosuggestion im Mittelalter und im 16. Jahrhundert.

Die mittelalterliche Schauspielkunst in Deutschland^) ., . . . . 176

Orundcharakter: Sparsamkeit und Einförniigkeit der Gesten S. J76. Gesten der biblischen Vorlage S. 176. Das mittelalterliche Theater: labile und stabile Gesten S. 177. Reichtum der Gesten in andern Künsten S. 17S.

Die Gesten des weltlichen Epos in Deutschland 178

Allgemeines S. 179. Der Gebärdenstil der vorritterlichen weltlichen Er- zählung S. 181. Der Gebärdenstil der kla.ssischen Epik S. 185. Mimik und Gestik in den Nibelungen und der Kudrun S. 194. Der nach klassische und spielmännisclw. Gebärdenstil S. 195. Der Gebärdenstil der allegorischen und der l)iirgertichen E/>ik S. 197.

Schauspielkunst und Liturgie 201

Schauspielkunst und Theologie S. 201. Schauspielkunst und Gottesdienst S. 202. Die Gesten der Liturgie S. 202.

1) Zur Ergänzung vgl. S. 15!)f., 163ff., 172f., 175.

Inhalt. IX

Seite Die Gesten der neu testnmentlichen E rziihlunn in Den iscli land . . 205 Stärkere Gebnndenlieit als im weltlichen Epos S. 205. Leichte Lösnnffen und ihre Ermöglichung S.205. Umschwung durch die Marienepik S.207. Reste der alten Gebundenheit S. 209. Die Gesten in der geistlichen Bildkunst des deutschen Mittelalte rs 210 Liturgische und dogmatische Bindung S. 210. Auswahl der Szenen. Älteste Reihe: Perikopenkunst S.211. Zweite Reihe: Typologie S.212.— Dritte Reihe: Vorwiegen des Historischen S. 213. Die Frage der „stabilen Gesten" S. 215. Keine stabilen Gesten in der Bildkunst S. 216. Die labilen Gesten S.217. Bibel und Bildkunst S.218. Die größere Freiheit der bildnerischen Ausdrucksbewegungen S. 218. Die Gebärde der karo- lingischen und ottonischen Kunst S. 220. Die Gebärde der romanischen Kunst S. 224. Die Gebärde der gotischen Plastik S. 226. Der Gebärden- schatz der romanischen und gotischen Kunst S. 228. Die Gebärde der hochgotischen Kunst S. 231. Der Gebärdenschatz des 14. und des be- ginnenden 15. Jahrhunderts S. 232. Die Gebärdung der Realistengeneration der Vorrenaissance S. 234. Die Gebärde der Spätgotik S. 236. Völlige Verschiedenheit der Gestik in den drei Künsten S. 240.

Die S chauspielkunst des ausgehenden M ittelalters 241

Umschwung durch die Gestik der dramatischen Marienklagen S. 241. Pathetik, Individualisierung, Naturalismus im Donaueschinger Spiel S. 243.

Die Gebärdensprache der Meister singerbühne . 244

Mimik, Gesamtkörper S. 244. Arme und Hände S. 246. Verwandtschaft mit der Gestik des mittelalterlichen Theaters S. 249. Unterschiede S. 250. Die Gestik in Hans Sachsens erzählender Dichtung S. 251. Epische und theatralische Gestik bei Hans Sachs. Die Gebärdensprache des Fastnacht- spiels S. 253. Epos und Theater: einige Ähnlichkeiten in den Gebärden. Das Zusammenschlagen der Hände über dem Kopf S. 254.

Die Schauspielkunst des Schultheaters 256

Unmöglichkeit einer Wiederbelebung der römischen Schauspielkunst S. 256. Schauspielkunst und Rhetorik S. 258. Pronunciatio und actio S. 259. Jodocus Willich S. 260. Stimme, Mimik und Gestik S. 262. Schul- theaterkunst und Meistersingerkunst S. 265. Selbständigkeit der Nürn- berger Theatergestik S. 267.

Die Gestik der Bildkunst im Zeitalter Dürers S. 268. Hans Sachsens Leistung: Systematisierung und Normalisierung der theatralischen Tradition S. 270.

Zweiter Teil:

Dramenillustrationen des 15. und 16. Jahrhunderts.

Erstes Kapitel: Ziele und Wege 273

Zweites Kapitel: Illustrationen antiker Dramen 27^

Vorherrschaft der Terenzillustrationen. Die Terenzbilder der ottonischen Renaissance S. 277.

Miniaturen

Miniaturkunst und Altertumsbegeisterung. Frühhumanistisches Interesse für Seneca S. 279. Ulustrierte Senecahandschriften S. 279. DarsteUung des „Hercules furens". N. Treveth und die Auffassung des antiken Theaters S. 279. Französische Terenzillustrationen S. 283. Das „Thealrum Ro- manum" im „Terence des Ducs" S. 284. Die Szenenbilder S. 289. Terenzminiaturen des späteren 15. .Jahrhunderts S. 291.

278

^ Inhalt.

Seite

Der Ulmer „Eunuchus" - 292

Zusammenhang mit den alten Miniaturen S. 292. - Zusammenhang mit gleichzeitigen Terenzauft'ührungen S. 294. Die Darstellung des Lokalen S. 298.

DerLyonerTerenz 300

Jodocus Badius S. 300. Badius und die Ferrareser Aufführungen S. 301. Badius' Anteil an den Holzschnitten S, 302. Zusammenhang mit den alten Miniaturen S. 303. Badius' Anschauungen über das antike Theater S. 305. Hineinziehung der flandrischen „abele speien" S. 307. Einfluß L. B. Albertis S. 310. Das Gesamtbild des Theaters S. 312. Die Szenenbilder S. 313. Podium und Szenenhäuschen S. 314. Der Künstler ein Niederländer S. 316.

Der Straßburger Terenz 317

Gesamteinrichtung S. 318. Das Theatrum S. 319. Die Straßburger Szenenbilder und die Ulmer und Lyoner Holzschnitte S. 322. Clichesystem S. 323. Personen S. 324. Lokales S. 325. Gesamtbilder zu den ein- zelnen Komödien S. 326.

DerBaselerTerenz 329

Die Dürerhypothese S. 329. Ihre Gegner S. 331. Datierung des Baseler Terenz S. 332. Baseler und Straßburger Terenz S. 334. Sebastian Brant als Berater des Baseler Künstlers S. 336. Baseler Terenz und Ulmer „Eunuchus" S. 337. Baseler Terenz und Lyoner Terenz S. 340. Die Baseler Bilder und die Terenzverdeutschung von 1499 S. 343. Jakob Locher S. 343.

Der Venetianer Terenz 346

Abhängigkeit S. 346. Gesamttheaterdarstellung S. 348. Die Szenenbilder S. 349.

Holzschnitte des 16. Jahrhunderts 351

Deutschland S. 351. Italien S. 352. Nachbildung der italienischen Terenzbilder durch das wirkliche Theater S. 353. Frankreich S. 354.

Theatergeschichtliche Ergebnisse 3oo

Zusammenfassung S. 355. Kostümfragen: methodische Grundlagen für eine wissenschaftliche Kostümkunde des Mittelalters S. 356. Die Gebärden S. 360. Der Ulmer „Eunuchus" und das Theater S. 360. Der Straßburger Terenz und das Theater S. 362. Der Baseler Terenz und das Theater S. 363. Der Lyoner Terenz S. 364.

Lebende Bilder 364

Holzschnitte und Zeichnungen lebender Bilder S. 364. Der Brüsseler Einzug v. .1. 1490 S. 365. Aufzüge S. 367. Schaugerüste S. 368. Lebende Bilder und dramatische Aufführungen S. 369. Die Personagia und die Rederijkers S. 374. Rederijkers und Lukasgilden S. 376. Die Brügger Personagia v. ./. 1515 S. 379. Literarische Erklärung der Brüsseler Bilder: die Stoff kreise S. 381. Die Stoff kreise der lebenden Bilder und des Dramas S. 385. Verhältnis der lebenden Bilder zur Malerei S. 388. Die Stoffkreise der lebenden Bilder und der Gemälde S. 388. - Bildkünstlerische Formprinzipien bei den lebenden Bildern S. 394. Theatergeschichtliclie Bedeutung der lebenden Bilder S. 396. Bühnengerüst und Dekoration S. 397. Requisiten, Beleuchtung S. 400. Kostüme S. 401. Kostüme des Lyoner Terenz S. 406. Gebärden auf den lebenden Bildern S. 409. Gebärden im Lyon<M- Terenz S. 409.

Drittes Kapitel: Illustrationen zu schweizerischen Dramen . . . 412

Gerold Edlibach

412

Inhalt. XI

Seite Die Bildkunst in Zürich S. 412. Gerold Edlibach S. 413. '— Edlit)achs Zeichnun<j des Zehnalferspiels S. 415. Edlit)achs Zeichnung zu ßrunners Fastnachtspiel S. 418.

Pamphilus Gengenbach 419

Der Baseler Holzschnitt und die Gengenbachsche Druckerei S 419. Gengen- bachs Spiel von den zehn Altern: Entstehungszeit S. 421. Die Holzschnitte zum Zehnalterspiel S. 422. Die Tradition der Zehnalterillustrationen S. 425.

- Theatersinn der Bilder: Lokales S. 427. Die Attribute der Darsteller S. 430. Maske S. 432. Kostüme und Gesten S. 433. - Der „Nollhart" imd die Holzschnitte des Ambrosius Holbein S. 434. Die Nollharlholz- schnitte im bildkünstlerischen Zusammenhang S. 436. Die Darstellung der Sibylla S. 437. Die „Gouchmat" : Entstehungszeit S. 439. Die Bilder der „Gouchmat" und ihr Ursprung S 440.

Niklas Manuel 444

„Des Papst und Christi Gegensatz": Spiel und Zeichnung S 444. Manuels Zeichnung und die bildkünstlerische Tradition S. 448. Manuels Ablaßkrämer S. 450. Ursprünglich Theaterstück, später Dialog S. 452. Die Zeichnung zum un theatralischen Dialog gehörig S. 453.

Augustin Frieß und Jakob Ruof 454

Buchausstattung und Theater in Zürich S. 454. Erste Periode der Dramen- ausstattung bei A. Frieß S. 455. Zweite Periode: Nachahmung des Straß- burger Druckers Frölich S. 457. Dritte und vierte Periode: S. 459. Theatergeschichtlich wichtig nur die dritte Periode S. 460. Augustin Frieß und Jakob Ruof S. 461. Ruofs Tellspiel: die Aufführung und die Holz- schnitte S. 462. Ruofs Jobdrama: die Aufführung und die Holzschnitte S. 464. Bilder zu Ruofs Passionsspiel und Bircks Susanna S. 466. Die Kostüme der Ruof-Frießschen Holzschnitte S. 468.. Die Heroldsbilder und ihr theatergeschichtlicher Wert S. 471. Herold und Actor S. 473. Die Zeichnungen zu Ruofs Weingartenspiel S. 474, Die Entstehungsgeschichte der Handschrift S. 475. Untheatralische Elemente der Zeichnungen S. 477.

Theatralisches: die Hölle S. 478. Nichttheatralischer Charakter der Dar- stellungen des Weingartens S. 480. Die Kostüme S. 482. Die Herolde S. 483. Geistliche Verkleidung S. 485. Propheten und Apostel S. 487. Die Engel S. 489. Die Teufelsbilder S. 492. Teufel auf dem Theater S. 495. Teufelstrachten und Teufelsmasken S. 496. Schweizerische und elsässische Dramenillustrationen S. 500.

Schlußwort: Die theatergeschichtlichen Gesamtergebnisse und ihr

geistiger Sinn 501

Berichtigungen und Nachträge 525

Namen- und Sachregister 527

Verzeichnis der Abbildungen.

^ Seite

Abb. 1. St. Marthakirche zu Nürnberg (nach einer Abbildung des 18. Jh.) ... 17

2. Grundriß der Marthakirche zu Nürnberg 19

3. Grundriß des Remters im Nürnberger Predigerkloster 20

4. Chorraum der Nürnberger Marthakirche 22

5. Grundriß der Meistersingerbühne in der Marthakirche 56

6. Nürnberger Musikanten. Aus Cod. Heldt fol. 164 102

7. Zwei Türken. Aus Cod. Heldt, toi. 316 111

8. Jakobsbruder. Aus Cod. Heldt fol. 43 113

9. Vornehmer Spanier. Aus Cod. Heldt fol. 392 b 122

10. Briefbote. Aus Cod. Heldt fol. 451b 128

11. Aussätziger. Aus Cod. Heldt fol. 44 124

12. Nürnberger Fußturniei". Aus Cod. Heldt fol. 95 125

13. Hofmann. Aus Cod. Heldt fol. 44 b 127

14. Narr. Aus Cod. Heldt fol. 168 129

15. Nürnberger Herold. Aus J. Heros, Der indische Pilgerer (1562) . . . 134

,, 17. Darstellung des „Hercules furens" im Cod. Lat. Urbin. 355 281

18. Theatrum Romanum im Cod. Lat. Ars. 664 285

19. Terentius, Andria I, 5 im Cod. Ars. 664, links v. 240 ff., rechts v. 267 ff. 288

., 20. Terentius, Eunuchus 11, 2 im Cod. Ars. 664, links v. 270 ff., rechts v. 283 289

., 21. Terentius, Eunuchus 1, 1 im Cod. Ars. 1135 291

22. Ulmer „Eunuchus" IV, 4 (v. 669 ff.) 293

23. Ulmer „Eunuchus" I, 1 295

24. Ulmer „Eunuchus" II, 2 (V. 270 ff ) 295

25. Ulmer „Eunuchus" II, 3 (v. 293 ff.) 296

26. Ulmer „Eunuchus" III, 1 (v. 398 ff.) 296

27. Ulmer „Eunuchus" IV, 5 (v. 739) 297

,. 28. Ulmer „Eunuchus" V, 5 (V. 975 ff.) 297

29. Ulmer „Eunuchus" V, 6 (v. 1002 ff.) 298

30. Ulmer „Eunuchus" V, 8 (V. 104911) '. 298

31. Lyoner Terenz : Gesamtdarstellung des Theaters 304

32. Lyoner Terenz: Andria, Prolog 305

33. Lyoner Terenz: Andria I, 1 306

34. Lyoner Terenz: Andria HL 1 (v. 453 ff.) 307

35. Lyoner Terenz: Andria V 4 (904 fL) 308

36. Lyoner Terenz: Andria V, 5 (v. 957 ff.) 309

., 37. Lyoner Terenz: Eunuchus II, 2 (v. 232 ff.) 310

38. Lyoner Terenz: Eunuchus I, 1 311

39. Lyoner Terenz: Eunuchus II, 3 (V. 293 fL; 303 ff.) 312

40. Lyoner Terenz: Eunuchus V, 6 (v. 1002 ff.; 1006 11) 313

41. Straßburger Terenz: (jesamtdarstellung des Theaters 320

42. Straßburger Terenz : Andria, Prolog 322

,, 43. Straßburger Terenz: Andria 1,1 323

., 44. Straßburger Terenz: Eunuchus II, 2 (V. 27011) 323

45. Straßijurger Terenz: Eunuchus IV, 7 (v. 77 ff.) . . 324

,, 46. Straßburger Terenz: Gesamtdarstellung des „Euiuicluis" 327

47. Baseler Terenz: (Jesamtbild des Theaters 333

48. Baseler Terenz: Der Dichter 334

49. Baseler Terenz: Brants Entwurf zu Andria V, 4 (v. 90411) 335

50. Baseler Terenz: Andria V, 4 (v. 90411) 336

51. Baseler Ton-enz: Andria V, 5 (V. 957 ff.) 3:^8

.52. Baseler Terenz: Eunuchus 11,2 (v. 270 fL) 338

, .53. Baseler Terenz: Eunuchus 111, 1 (v. 398 fL) 339

Verzeicimis der Abbildungen. vttt

XIII

Abb. 54. Baseler Terenz: Eunuehus IV, 3 (v 739 ff ) ''^'"'*^

55. Baseler Terenz: EunuchusV;(Mv;i002ff.):Zwei.eAustührung ' ^ IT,

., 6o. Venetianer Terenz: Gesamttheaterdarstellung « . d41

57. Venetianer Terenz: Andria Ifl, 1 (v. 4.53 ff.) ^'^'

., 58. Venetianer Terenz: EunuchusI, 1 ^t^

., 59. Venetianer Terenz: Eunuchus II, 2 (V. 232 ff.) !^'!^

60. Brüsseler Einzug: der histrio ..... '^''1

61. Brüsseler Einzug: der Narr zu Pferde ^^'

62. Brüsseler Einzug: maskierte Musikanten ^^^

., 63. Brüsseler Lebende Bilder: Judith und Holofernes ' ' tll

64. Brüsseler Lebende Bilder: Tobias und Sara '

,. 65. Brüsseler Lebende Bilder: Abimelech dnr^h .i,,..^ ^,^-.,..'..'...:. '

«« .. , Abimelech durch einen Steinwurf getötet 377

66. Brüsseler Lebende Bilder: Salomos Vermähluna ^ ' l'' 6/. Brüsseler Lebende Bilder: Rebeccas Vermählt "

68. Brüsseler I.ehpnrio Riiri^^. i?„n ., " '^^1

Brüsseler Lebende Bilder: Esther vor Ahasver

an

69. Brüsseler Lebende Bilder: Debora feuert die Krieger an IT-

'0. Brüsseler Lebende Bilder: Siseras Ermordung durch Jael '

i7. P. !8. P.

Gengenbach, Zehn Alter: Der Einsiedler mit dem Sechzigjähriaen

Gengenbach, Zehn Alter: Der Einsiedler mit dem Siebzigjährigen

89. P. Gengenbach, Zehn Alter: Der Einsiedler mit dem Achtzigjährigen

90. P. Gengenbach, Zehn Alter: Der Einsiedler mit dem Neunzigjährigen

399

n. Brüsseler Lebende Bilder: der Traum des Astva^e. ' ' ' '''

r2. Brüsseler Lebende Bilder: das Urteil des Paris Z

'3. Brüsseler Lebende Bilder: „Sinopis"

74. Brüsseler Lebende Bilder: „tres virgines'^ !!|!?

75. Brüsseler Lebende Bilder: „Domus deliciae" Zl

76. Brüsseler Lebende Bilder: Sankt Lukas malt die Madonna

78' b"^^"^'' Yl""^: ^''''"'- ""'' ^""^•^ ^'"'^ ^^'-»« ™'t ^«'nem Hofstaat 401

^8. Brugger Lebende BUder: Moses bringt die Tafeln, Louis de Nevers .ib Brügge Privilegien ...

''~'m^TuMr'"'" Federzeichnungen zu dem Spiel von den zehn Altern '''

81. Edlibachs Federzeichnung zu Brunners Fastnachtspiel ' ' '^Vl«

82 P- Gengenbach, Zehn Alter: Der Einsiedler mit dem Zehnjährigen 42'>

83. P. Gengenbach, Zehn Alter: Der Einsiedler mit dem Zwanzi^jähric

82. P. Gengenbach, Zehn Alter: Der Einsiedler mit dem Zehnjährigen

Gengenbach, Zehn Alter: Der Einsiedler mit dem Zwanzigjährigen 4->3

84. P. Gengenbach, Zehn Alter: Der Einsiedler mit dem Dreißigjährigen 424

80. P. Gengenbach, Zehn Alter: Der Einsiedler mit dem Vierzig ähri^en . . 4.5

86. P. Gengenbach, Zehn Alter: Der Einsiedler mit dem Fünfzigjährigen 4^6

427

428

429 430

438

91. P. Gengenbach, Zehn Alter: Der Einsiedler mit dem Hundertjährigen . 431

92. P. Gengenbach. Der Nollhart: Der Bruder mit dem König vo,

93. P. Gengenbach, Der Nollhart: Papst und Sibylle .

94. P. Gengenbach, Gouchmat: Venus mit Cupido

95. u. 96. P. Gengenbach, Gouchmat : Der .Jüngling vor und nach den

97. P. Gengenbach, Gouchmat: Der Mönch mit dem Gouchvogel

98. N. Älanuel, Federzeichnung: Des Papst und Christi Gegensatz ' 44.5

99. N. Manuel, Federzeichnung: Der Ablaßkramer ,-.

100. J. Ruof, Teil (Frieß). Erstürmung der Burg Sarnen ,,,

101. J. Ruof, Teil (Frieß). Apfelschuß ^^l

102. J. Stumpf, Weltchronik (Froschaueri. Apfelschuß .^Ö

103. Tellenlied (Frieß). Apfelschuß [

104. J. Ruof, Job (Frieß). Satans Gespräch mit Gott ,^1

105. J. Ruof, Job (Frieß). Halle der Kinder Jobs . 46"

106. J. Ruof, Job (Frieß). Job in seiner Halle beim Schmaus 468

10 <. .L Ruof, Job (Frieß). Job empfängt die schlimmen Nachrichten . " ' 468

^JY Verzeichnis der Abbildungen.

Seite

Abb. 108 J. Ruof, Job (Frieß). Job von Teufeln gequält; Job und sein Weib . . 469

109. J. Ruof, Job (Frieß). Job und seine Freunde 470

110. J. Ruof, Teil (Frieß). Herold und Actor 471

111. J. Ruof, Teil (Frieß). Knabenherold, Actor und Publikum 472

112. J. Ruof, Weingartenspiel, Höllenrachen zu Akt 2 (Wyß N. 9) . . . . 478

113. J. Ruof, Weingartenspiel. Höllenrachen zu Akt 4 (Wyß N. 53) ... 479

114. J. Ruof, Weingartenspiel. Titelzeichnung (Wyß N. 1) 480

115. J. Ruof, Weingartenspiel. Weingarten zu Akt 2 (Wyß 19) 481

116. J. Ruof, Weingartenspiel. Herold und Actor im Vorspiel (Wyß N. o) 483

117. J. Ruof, Weingartenspiel. Herold und Actor am Ende (Wyß N. 75) . . 484 119. J. Ruof, Weingartenspiel. Herold als Epilog (Wyß 76) 484

119. J. Ruof, Weingarten.spiel. Vater mit drei Propheten (Wyß N. 26) . . 487

120. J. Ruof, Weingartenspiel. Vater mit den Aposteln (Wyß N. 62) . . . 488 121. J. Ruof, Weingartenspiel. Engel Raphael (Wyß N. 55) 489

122. J. Ruof, Weingarienspiel. Teufelsbote und Luzifer (Wyß N. lOj . . . 493

123. J. Ruof, Weingartenspiel. Satan (Wyß N. 11) 493

124. J Ruof, Weingarienspiel. Teufel Bell (Wyß N 12) 494

125. J. Ruof. Weingarienspiel. Teufel Astaroth (Wyß N. 13) 494

126 u 127. Teufelskostüm aus Tirol (Vorder- und Seitenansicht) 496

128. Teufelsmaske aus Sterzing, Museum Ferdinandeum zu Innsbruck . . . 497

129. Teufelsmaske aus Oetz, Museum Ferdinandeum zu Innsbruck .... 498

Verzeichnis bibliographischer Abkürzungen ^\

Abel s. S. 286, Anm. 1.

Baechtold s. S. 444, Anm. 2. Burckhardt s. S. 329, Anm. 1. Bolle s. S. 421, Anm. 1. Burg s. S. 444, Anm. 2. Busscher s. S. 377, Anm. 1.

Cohen s. S. 525 (zu S. 9). Creizenach, W., Geschichte des neueren Dramas I 2. Auflage. Halle 1911 (I.Aull. 1893); IL Halle 1901. HI. Halle 1903. IV. Halle 1909.

Doege s. S. 104, Anm. 1.

Engelhardt s. S. 278, Anm. 1.

Flechsig s. S. 295, Anm. 1.

Hammitzsch s. S. 8, Anm. 1. Hampe s. S. 14, Anm 1. Hartmann s. S. 203, Anm. 3. Heinze s. S. 491, Anm. 1. Heinzel s. S. 83, Anm. 1. HS. s. S. 13, Anm. 1.

KG. = Hans Sachs, Werke, herausgegeben von A. v. Keller u. E. Goetze. 26 Bände Könnecke, G., Bilderatlas zur Geschichte der deutschen Naiionalliteratur. 2. Aufl., Marburg 1895. Kristeller s. S. 299, Anm. 1.

Lippmann s. S. 346, Anm. 1. Lommatzsch s S. 179, Anm.

Martin s. S. 284. Michels s. S. 14, Anm. 2.

Petersen s. S. 185, Anm. 1.

Heuouard s. S. 300, Anm. 3. Röttinger s. S. 339, Anm. 1. Rondot s. S. 316 Anm. 3.

Schauspiele, Schweizerische s. S. 461, Anm. 1. Schmidt, Expeditus P. S. 15, Anm. 2. Schultz, Alwin s. S. 105, Anm. 1. Stornajolo s. S. 280, Anm. 1

Vögelin s. S. 445, Anm. 3; 455, Anm. 1.

Weisbach s. S. 331, Anm. 1. Wölfflin s. S. 268, Anm. 1. Woltmann s. S. 435, Anm. 1. Würfel s. S. 17, Anm. 1. Wyß s. S. 474, Anm. 1 (zu S. 461, Anm. 1).

Zacher u. Matthias s. S. 42.5, Anm. 1. Zappe rt s. S. 202. Anm. 1. Zemp s. S. 413, Anm. 1. Zion, N' ü rnbergisches s.S. 17, Anm. 1.

1) Zeitschriften werden nach dem in den „Jahresl)orichteM liir (icschichtswissen. schalt" und den „Jahresberichten für neuere deutsche Lilcraturgeschichte" gebräuch- lichen Kürzungssystem zitiert.

Bibliotheken und andere Sammlungen,

deren Bestände benutzt worden sind.

Basel, Museum; Universitätsbibliothek.

Berlin, Kgl. Bibliothek; Bibliothek des Kgl. Kunstgewerbemuseums; Lipperheidesche Kostümbibliothek'); Kgl. Kupferstichkabinett.

Bern, Stadtbibliothek; Universitätsbibliothek.

Bonn, Kgl. Universitätsbibliothek.

Breslau, Stadtbibliothek.

Darmstadt, Großherzogliche Hofbibliothek.

Donaueschingen, Fürstliche Bibliothek.

Dresden, Kupferstichsammlung König Friedrich Augusts 11.

Einsiedeln, Stiftsbibliothek.

Erlangen, Kgl. Universitätsbibliothek.

Frankfurt a. M., Stadtbibliothek.

Innsbruck, Museum Ferdinanden m.

München, Kgl. Hof- und Staatsbibliothek.

Nürnberg, Stadtbibliothek; Germanisches Nationalmuseum: Pfarrarchiv der Martha- kirche; Stadtbauamt.

Paris, Bibliothek des Arsenals.

Rom, Vaticana.

Sankt Gallen, Stadtbibliothek.

Seebarn bei Korneuburg, Gräflich Wilczeksciie Sanunlungen.

Weimar, Großherzogliche Bibliothek.

Wien, K. und k. Hofbibliothek.

Zürich, Stadtbibliothek; Stadtarchiv.

1) Ihrem Leiter, Herrn Direktorialassisteuten Prof. Dr. Doege, bin ich zu besonderem DaiiW verbunden.

Einleitung.

H e r r m a n n , Theater.

Die Beschäftigung mit der Theatergeschichte hat während der letzten Jahrzehnte eine bemerkenswerte Steigerung erfahren. Wir haben Forschungen, die sich „theatergeschichthche" nennen, wir haben eine „Gesellschaft für Theatergeschichte ", die viele Mitglieder zählt, wir hören von dem Plane, Theatermuseen zu begründen. Solches theaterhistorische Interesse erklärt sich gewiß in erster Reihe aus der großen Neigung unserer Zeit für das lebendige Theater, das heute in dem ewigen, nur durch wenige wundersame Vereinigungs- stunden unterbrochenen Kampfe zwischen Drama und Theater als Triumphator erscheint, ja darüber hinaus aus der im tiefsten Sinne schauspielerischen Natur des modernen Menschen; aber das so aus dem Tagesinteresse Geborene ist es wohl wert, zu einem dauernden Besitz der historischen Wissenschaft zu führen. Unter den verschiede- nen Zweigen der allgemeinen Kulturgeschichte nimmt die Geschichte der Theaterspiele eine besonders wichtige Stelle ein, weil die Be- tätigung und Entwicklung der Völkerseelen hier besonders scharfe und unmittelbare Spiegelbilder liefern; sie stellt ferner ein eigen- artiges Gebiet der allgemeinen Kunstgeschichte dar, das freilich den Gebieten der eigentlichen Hochkünste, der Literatur-, Musik- und Bildkunstgeschichte nicht vollkommen ebenbürtig ist, aber doch eine große Reihe bemerkenswerter Kunstgebilde in geschichtliche Beleuchtung rückt; sie liefert endlich Material, ohne dessen Be- herrschung ein Hauptteil der Literaturgeschichte : die Geschichte der dramatischen Dichtung zum vollen Verständnis nicht gebracht werden kann.

Wir haben den Wunsch und zwar den berechtigten Wunsch, eine theatergeschichtliche Wissenschaft zu besitzen, - wir besitzen sie aber noch ganz und gar nicht. Ja, wir wissen noch nicht ein- mal die Aufgaben der künftigen Wissenschaft gebührend abzu- grenzen. Daß in theatergeschichtlichen Festsitzungen Vorträge über die dichterische Bedeutung eines Schillerischen Dramas oder über die Tagebücher eines großen österreichischen Dramatikers gehalten werden konnten, ist ein nur allzudeutliches Symptom dafür, daß man auch unter den Adepten die Geschichte der dramatischen Dichtung und die Geschichte des Bühnenwesens immer noch durch- einander wirft. Das Drama als dichterische Schöpfung geht uns aber in der Theatergeschichte nichts oder nur in soweit etwas an,

1*

4 Einleitung.

als der Dramatiker bei der Abfassung seines Werkes auch auf die Verhältnisse der Bühne Rücksicht nimmt, und insofern also das Drama uns einen unbeabsichtigten Abdruck vergangener Theaterver- hältnisse liefert ; wir betrachten es ferner als Bestandteil des Theater- spielplans und als Gegenstand der Bemühungen nachgeborener Büh- nenkünstler, es ihren veränderten Theaterverhältnissen zu eigen zu machen. Das spezifisch Dichterische aber bleibt für uns ganz außer Betracht ; das völlig unkünstlerische 'Theaterstück' im engeren Sinne des Wortes ist für unsern Gesichtspunkt unter Umständen wichtiger als das größte dramatische Meisterwerk der Weltliteratur. Was uns eigentlich angeht, ist nicht zu allen Zeiten dasselbe, weil das Urwesen des Theaters in den verschiedenen Kultursituationen sehr verschiedenartige Erscheinungsformen zu Tage fördert die wichtigsten Einzelgebiete, die wir zu erhellen haben, sind : das Theaterpublikum, die Bühne mit ihren verschiedenartigen Einrich- tungen, die Schauspielkunst und endlich die künstlerische Leitung der Vorstellungen. Alles Faktoren einer nach eigenen Gesetzen lebenden Eigenkunst sozialen Charakters, die zwar neuerdings im- mer wieder Rücksicht zu nehmen hat auf die ihr zugefallene Auf- gabe, Schöpfungen einer anderen Kunst: der dramatischen Poesie zu verlebendigen, die aber ursprünglich in sich vollkommen frei ist und diese Unabhängigkeit und Selbständigkeit bis auf unsere Tage, oft sogar mit allzustarken Ebenbürtigkeitsansprüchen, immer wieder betont. Daß wir über das Wesen dieser Theaterkunst in ästhetischer Hinsicht uns noch so wenig oder garnicht verständigt haben, trägt ebenfalls dazu bei, die Theatergeschichte noch unter der Wissenschaftsstufe zurückzuhalten : haben doch auch Literatur-, Bildkunst- und Musikgeschichte einen wissenschaftlichen Charakter erst angenommen, seitdem ihre Vertreter den allgemeinen Fragen des künstlerischen Schaffens und Wirkens ihre Aufmerksamkeit gewidmet haben.

Aber auch wo die theatergeschichtliche Forschung unter Aus- schaltung des Dramatischen sich im besondern den Leistungen zu- zuwenden bemüht, die ihr wirklich zukommen, befindet sie sich noch in einem vorwissenschaftlichen Zustande; es ist kein Zufall, daß auf diesem Gebiete der Wissenschaftler sich so ruhig mit dem Dilettanten verbündet: denn auch die allermeisten Wissenschaftler sind hier über den Dilettantismus noch nicht hinausgekommen. Wenn man uns solcher Erklärung gegenüber etwa auf eine vielge- rühmte Schauspielerbiographie als auf ein vorzügliches und durch- aus wissenschaftliches Werk hinweist, so muß betont werden: solche Epitheta verdient es nur in biographischer und kulturgeschichtlicher Beziehung, in dem Kern seiner Aufgabe versagt es ganz: niemand vermag aus ihm ein nur einigermaßen deutliches Bild von der Kunst seines Helden sich zu machen.

Einleitung. 5

Und hier liegt das Entscheidende. Wir begnügten uns meistens damit, glücklich aufgestöbertes Material: Aktennotizen, Kritikerur- teile, Bilder zusammenzufügen, und nannten das Ergebnis Theater- geschichte, Ein Zustand, wie er einst in der Literaturgeschichte herrschte, als sie noch Literärgeschichte war. Wer möchte es heut noch unternehmen, Dichtungsgeschichte zu schreiben, d. h. die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Dichtwerken der Ver- gangenheit aufzuzeigen, ohne zuvor diese einzelnen Leistungen selbst dermaßen aufgedeckt, ergänzt, beleuchtet zu haben, daß sie wie in unmittelbarer Gegenwart vor dem Auge des Betrachters stehen?

Solche speziell philogogische Grundleistung hat auch die thea- tergeschichtliche Wissenschaft viel schärfer ins Auge zu fassen und durchzuführen, ehe sie sich an die Arbeit der historischen Verknüpfung macht. Zuerst die Zustände und dann die Abfolge! In allererster Reihe gilt es sich die Aufgabe zu stellen, durch kritische Würdigung des gesammelten Materials, durch eine die Lücken der Überlieferung kombinatorisch ergänzende Rekonstruk- tion die theatralische Einzelleistung der Vergangenheit, die wirk- liche Gesamtvorstellung mit allen ihren Teilen wieder lebendig werden zu lassen. Die Mittel, die für die Materialsichtung und für den ergänzenden Aufbau zur Verfügung stehen, sind zunächst keine andern wie die der historisch-philologischen Kritik im allge- meinen; so wie diese Mittel aber jedesmal durch die besonderen Bedingungen des der Untersuchung harrenden kulturellen oder künstlerischen Geschehens entscheidend modifiziert werden, so kommt es für die theaterhistorische Kritik auch darauf an, den Eigentümlichkeiten dieses Kunstgebietes bis ins letzte gerecht zu werden. Grade hier aber liegen große Schwierigkeiten. Man achte nur auf das fast erfolglose Ringen der modernen Theaterkritik, die theatralischen Leistungen, die sie doch in unmittelbarer, lücken- loser Lebendigkeit vor sich hat, so zu beschreiben, daß ein voll- ständiges und scharfes Bild auch für den entsteht, der die Vor- stellung nicht besucht hat um wieviel schwieriger ist es, Mittel und Wege zu finden, um aus den Trümmern der Überlieferung die längst vergangene Leistung einigermaßen deutlich wieder er- stehen zu lassen.

Will die Theatergeschichte eine Wissenschaft werden, so muf5 sie ihre besondere Methode erhalten. An dieser Stelle soll indes- sen keine methodologische Abhandlung geboten werden. Das Reden von der Methode, das in den letzten Jahren unter den jün- geren Forschern z. B. der Literaturgeschichte eine gewisse Rolle spielt, ist älteren Genossen mitunter sehr auf die Nerven gefallen, und obschon auch der bloße Hinweis auf Straßen, auf denen im Gegensatz zu den allzubetretenen vielleicht lockendere Ziele zu er-

6 Einleitung.

reichen sind, etwas Verdienstliches haben kann und obschon es begreifhch ist, daß nicht sofort der Mut gefunden wird, sicli in un- bekannte Gegenden zu wagen, in denen oft jeder Scliritt vorwärts mühsam erkämpft werden muß, so ist doch nicht zu leugnen, daß tatsächlich auf die Dauer das bloße Sprechen von der Methode, das ewige Man müßte der Methodologen etwas Fatales erhält und mindestens den Anschein der Unfruchtbarkeit erweckt.

Das vorliegende Buch versucht es daher lieber, zugleich mit der praktischen Durchführung einiger theatergeschichtlicher Unter- suchungen Methode zu bringen. Die neuen Wege führen durch die verschiedenartigsten Wissenschaftsgebiete, die schwerlich ein und derselbe Forscher in gleicher Weise fachmännisch zu beherr- schen vermag, oft genug an Punkte, die auch die betreffende Sonderwissenschaft noch im Dunkeln gelassen hat und die doch nicht unbeachtet bleiben durften; mannigfache Nachsicht wird da- her vonnöten sein. Hier sei nur mit zwei Worten Allerallgemein- stes angedeutet. Theaterkunst ist eine Raumkunst in erster Linie kommt es darauf an, den Raum der Vorstellung und die Art seiner Benutzung genau zu kennen. So wird es sich empfehlen, von einem Fall auszugehen, in dem der Ort der Aufführung uns bis heute erhalten oder doch rekonstruierbar ist, und in dem wir ferner die Theaterstücke besitzen, die ein unmittelbar bei der Auf- führung beteiligter Autor eben für die Darstellung auf dieser uns erhaltenen Bühne verfaßte, und nicht eher zu ruhen, bis die Räum- lichkeiten dieser Bühne mit den in den Theaterstücken, zumal ihren szenischen Bemerkungen gestellten Anforderungen bis ins kleinste in Einklang gebracht sind. Vom sicher Erhellten werden wir dann auch den Blick auf minder günstig Beleuchtetes richten dürfen.

Es wird ferner notwendig werden, sich mit der Erkenntnis des eigentlichen Bühnenraumes und seiner Ausnutzung durch die Mit- wirkenden nicht zu begnügen, sondern auf Grund dieser Erkennt- nis und unter erneuter Heranziehung der in den szenischen Be- merkungen erhaltenen Andeutungen und ihres theatralischen Sinnes, der auf verschiedene Art immer wieder nachgeprüft werden muß, alles Nötige über Dekorationen, Maschinerien und Requisiten und ihre Verwendung durch die Spielleitung und deren Hilfskräfte zu ermitteln; zu genauerer Feststellung werden analoge Verhältnisse der bildenden Kunst herangezogen, wird der Stand des Kunstge- werbes und der Handwerke berücksichtigt, wird vor allem auch die Elgeiuui des PubUkums, seine Anforderungen an den Natura- lismus der Bühnenbilder und seine Phantasiebegabung untersucht werden müssen.

Auf ähnhche Weise soll auch von allen Seiten her das Kostüm der Schauspieler festgestellt werden ; wichtiger aber wird dann

Einleitung. 7

der Versuch werden, die eigentliche Schauspielkunst zu rekonstru- ieren. Es ist fast unmöglich, den Gang der Untersuchung mit wenigen Sätzen auch nur zu einer schattenhaften Vorstellung zu bringen. Die dürftigsten urkundlichen Notizen gilt es hier in wirk- liches Leben umzusetzen und die szenischen Bemerkungen des Dichterregisseurs bis ins letzte auszubeuten, die besonderen Zwecke und Bedingungen der Vorstellungen, die Gesamtfähigkeit der Mitwirkenden, die schauspielerische Tradition, die von früheren Zeiten her besteht, den Raum, auf dem der Darsteller sich bewegt, und dergleichen mehr zu berücksichtigen, die Menschendarstellung in der Erzählung und in der bildenden Kunst gegen die theatra- lische abzugrenzen und besonders die letztere dadurch scharf zu beleuchten. Das Wichtigste wird doch immer sein, den papierenen Ermittlungen dadurch zum Leben zu verhelfen, daß man sie in die Praxis der eigenen Stimme, des eigenen Körpers, der eigenen Seele überträgt und so in unwillkürlicher Ergänzung aus der lückenhaften Überlieferung ein blutvolles Gesamtbild herstellt, so wie der Literarhistoriker schließlich doch eine größtenteils ver- lorene Dichtung nur dadurch herstellt, daß er die kritisch herge- richteten Reste in seine eigene Seele aufnimmt und zum Zwecke der Neuschöpfung des Verlorenen sich in den alten Dichter ver- wandelt.

Ist das Ziel aller solcher Untersuchungen im wesentlichen die Herstellung verloren gegangener Leistungen, bis sie in der An- schaulichkeit eines unmittelbaren Abbildes vor uns stehen, so darf daneben eine andere Betrachtung nicht zurückbleiben, die zunächst mehr ein Abbauen als ein Aufbauen verfolgt und sich statt mit der Herstellung neuer Bilder mit der kritischen Prüfung überlieferter beschäftigt. Szenenbilder aus älterer Zeit haben nicht den un- mittelbaren Realitätswert, den die heutigen Momentaufnahmen theatralischer Leistungen besitzen; anderseits kann in ihnen, auch wo sie in der Form von Dramenillustrationen auftreten, ein Stück der wirklichen Aufführung mit überliefert sein. Dieses echte Stück gilt es herauszuholen oder die völlige Theaterfremdheit der be- treffenden Illustration aufzuzeigen und so durch die Fortschaffung unbrauchbaren Materials der Theatergeschichte einen Dienst zu erweisen in erster Reihe müssen zu dem Zwecke die Elemente ausgesondert werden, die durch die rein bildkünstlerischen Auf- gaben der betreffenden Darstellungen bedingt sind.

Aber nicht nach solchen dürftigen Andeutungen will die hier empfohlene theatergeschichtliche Methode beurteilt sein, sondern wie schon bemerkt, aus der vorgelegten Übertragung in die Praxis. Die betonte Methodologie dieses Buches soll indessen auch keines- wegs eine Schablone sein, mit deren Hülfe künftige theaterge- schichtliche Untersuchungen leicht durchgepinselt werden könnten.

8 Einleitung.

Sie stellt einerseits einen ersten Versuch dar und darf infolgedessen gewiß nicht den Anspruch erheben, jenseits aller Verbesserungs- und Verfeinerungsmöglichkeiten zu stehen; es ist aber ferner zu bedenken, daß bei aller Neigung zum Konservativen, die einen Grundzug im Wesen der Theaterkunst bildet, im Verlauf ihrer langen Geschichte doch auch eine große Verwandlungsfähigkeit sich zeigt, daß bei der komplizierten Art der Bühnenkunst die Be- dingungen, unter denen ihre Schöpfungen entstehen, vielfach wech- selnde sind und daß solchem Wechsel auch eine gewisse Beweg- lichkeit in den Rekonstruktionsmethoden entsprechen muß. Die Wege, die hier für das Mittelalter und die Reformationszeit zu einem gewissen Ziele führen möchten, sind für die folgenden Jahr- hunderte gewiß nicht überall in gleicher Weise gangbar.

Wenn es aber soeben hieß, die Untersuchungsweise dieses Buches stelle einen ersten Versuch dar, so gilt das nur mit einer starken Einschränkung. In dem Jahrzehnt, das von dem ersten Keimen der hier vorliegenden Arbeiten bis zu ihrem völligen Ab- schluß so ziemlich verstrichen ist, haben sich die Bemühungen, die Theatergeschichte zum Rang einer Wissenschaft zu erheben, deutlich bemerkbar gemacht. Wir haben nicht nur ein paar theater- baugeschichtliche Studien sachverständiger Architekten zu verzeich- nen '), deren Bemühungen unserer Gesamtwissenschaft werden zum Vorteil gereichen können, wir besitzen auch das Buch von J. Petersen über „Schiller und die Bühne" 2), das, ohne alle Probleme und ihre Lösungsmöglichkeiten scharf zu erfassen, namentlich ohne den Raumkunstcharakter der Bühnenleistungen gebührend zu berücksichtigen, doch in einer bisher nicht durch- geführten Art das Material über die deutschen Bühnen im aus- gehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert gesammelt und wissenschaftlich verarbeitet hat; wir besitzen wenigstens eine Arbeit über einen Schauspieler des 18. Jahrhunderts, die meinen oben geäußerten Anschauungen gemäß die schauspielerische Eigen- art ihres Helden aus den latenten Darstellungsanforderungen seiner Theaterstücke rekonstruiert und unter Benutzung der Seele des modernen Forschers lebendig werden läßt: die Studie über Johann Christian Brandes von Johannes Klopfleisch '^). Einen will- kommenen Bundesgenossen dürfen wir in Albert Köster^) begrüßen,

1) M. Ha mmitz seh, Der moderne Theaterbau. Der höfische Theaterbau. Der Anfang der modernen Theaterbaukunst, ihre Entwickhing und Betätigung zur Zeit der Renaissance, des Barock und des Rokoko. Berlin 19()(i.

A. Doebber, Lauch.städt und Weimar. Eine Iheaterbaugesciiichtliciie Studie. Berlin 1908.

2) Berlin 1904.

3) Heidelberger Diss(!rlalion 19()(J. Eine ähnlich angelegte Schrift von Dr. H. K u ndsen über Heinrich Beck wird bald hervortreten.

4) Ich hebe hier besonders seine ausgezeichnete Bespreclumg des Petersenschen Buches hervor: Anzeiger für deutsches Ailertum Bd. 30, S. 205 ff. (erschienen 1907).

Einleitung. 9

aus dessen Schule die sehr tüchtige Arbeit von C. H. Kaulfuß- Diesch „Die Inszenierung des deutschen Dramas an der Wende des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts"') hervorgegangen ist. Endhch hat auch die Shakespearephilologie der jüngsten Zeit zwei Schriften-) hervorgebracht, die die Bühnenverhältnisse der elisabetanischen Zeit mit moderner Energie ins Auge fassen.

Während aber solche Untersuchungen zur neueren Theater- geschichte die Sicherheit der methodologischen Linienführung und die Allseitigkeit der Betrachtung, zumal den Mut zum Betreten auch bildkunstgeschichtlicher Forschungswege mitunter noch ver- missen lassen, sieht es auf dem Gebiet der Behandlung des antiken Theaters wesentlich anders aus. Die ganze Parvenühaftigkeit der neueren Philologie wird einem wieder deutlich, wenn man nach der mühsamen Durchführung theatergeschichtlicher Untersuchung in die Parallelarbeiten der klassischen Philologen sich vertieft, und mit einigem Staunen liest man das zusammenfassende Urteil eines Kenners-^), daß es eigentlich auch eine Wissenschaft vom antiken Theaterwesen noch nicht gebe. Wie wird der oben ausgespro- chene Satz von der Nichtexistenz einer Theatergeschichtswissenschaft auf dem Gebiete der neueren Zeit dadurch beleuchtet! Denn seit den Tagen Gottfried Hermanns, Wieselers, Schönborns u. a. finden wir hier Untersuchungen, wie wir sie brauchen, mögen sie inzwischen auch durch Zuführung neuen Materials und Verfeinerung der Methoden gänzlich veraltet sein und etwa neben dem großen Werke über das griechische Theater von Dörpfeld und Reisch^) sich gar nicht mehr sehen lassen können: Wegrichtung und Wander- art sind doch schon seit langer Zeit die richtigen. Der erst in unserer Generation langsam sich wandelnde Grundzug der Altertums- wissenschaft, die Ermittlung des Zuständlichen vor der Betrachtung der historischen Abfolge zu bevorzugen, ist der uns für die neuere Zeit noch fehlenden rechten Begründung der Theatergeschichte ungemein zugute gekommen ; die Behandlung der Theaterraumver- hältnisse, die kritische Verwendung der Bildkunstwissenschaft stehen ganz im Vordergrund, so sehr, daß der ganze theater- wissenschaftliche Betrieb beinahe zu sehr einen archäologischen Charakter erhält und die nicht ihm unterzuordnenden Theater- elemente, so besonders die Schauspielkunst, über Gebühr ver- nachlässigt werden. Ein ungeheurer Vorsprung, den der Erforscher

1) Leipzig 1905 (Probefahrten Band 1).

2) C. Brodmeier, Die Shakespeare-Bühne nach den alten Bühnenanweisungen. Weimar 1904.

R. Wegener, Die Bühneneinrichtung des Shalcespeareschen Theaters nach den zeitge- nössischen Dramen. Halle 1907.

3) Oehmichen in Iwan ^lüUers Handbuch der klassischen Altertumswissenschaft V, 3. S. 183.

4) Athen 1896.

10 Einleitung.

des antiken Theaterwesens vor den Genossen auf modernem Felde hat, besteht ferner darin, daß er für fast alle seine Hilfsunter- suchungen, in denen er die Lebensbetätigungen auf andern Kultur- und Kunstgebieten heranzieht, reiche Vorarbeiten und oft unmittel- bare Beantwortung seiner Fragen vorfindet, während wir unserseits nur allzu oft gezwungen sind, wichtige Probleme der Nachbar- wissenschaften erst in selbständiger Forschung irgendwie der Lösung näher zu bringen.

Von verschiedenen Richtungen her erklärt es sich, daß die neuere Theatergeschichte nicht töchterlich an die antike sich an- schließt, sondern aus ihren eigenen Lebens- und Arbeitsbedingungen heraus eine freie Existenz sich zu schaffen sucht und erst nach- träglich in ein Wahlverwandtschaftsverhältnis zu jener tritt. Möge sie allmählich der älteren Genossin sich würdig erweisen!

Erster Teil:

Das Theater der Meistersinger von Nürnberg.

Erstes Kapitel:

Zuschauerraum und Bühne.

Wir stellen uns die Aufgabe, eine theatralische Aufführung der Vergangenheit bis ins kleinste dermaßen wieder lebendig werden zu lassen, daß man sie, wenn nur die finanziellen Mittel zur Verfügung stehen, ohne Furcht vor bedenklichen Verstößen tatsächlich einem modernen Pubhkum vor Augen bringen könnte. Keine einzige Periode der deutschen Geschichte liegt theaterge- schichtlich betrachtet so sehr im Dunkeln wie das sechzehnte Jahr- hundert — und doch: gerade hier liegen die Umstände so, daß man unter Anwendung bisher wenig erprobter Untersuchungsmittel auf eine besonders interessante Stelle das hellste Licht fallen lassen kann: auf die Aufführungen, die die Nürnberger Meister- singer unter Hans Sachsens Leitung um die Mitte des Refor- mationsjahrhunderts veranstaltet haben.

Wir wählen ein beliebiges Drama des Dichters, um einen be- stimmten Ausgangspunkt für unsere Betrachtung zu haben, und entscheiden uns für sein Nibelungendrama, die Tragedj des lüiernen Sewfried vom 14. September 1557, die ja literarisch nicht sowohl Hans Sachsens Fähigkeiten als vielmehr die Grenzen seines Könnens offenbart, in theatrahscher Hinsicht aber so eigen- artige Anforderungen stellt, daß es uns besonders reizen muß, ein authentisches Bild seiner Inszenierung zu gewinnen. ') Die Art dieser Inszenierung muß sich natürlich ebenso auf jedes andere der großen Hans Sachsischen Dramen (63 Tragödien, 65 Komödien) anwenden lassen, während die Fastnachtspiele mit ihrer andersartigen dichterischen und theatralischen Tradition mehr beiseite bleiben.

„Auf jedes andere" das wird sich doch nicht aufrecht erhalten lassen. Der erste Punkt nämlich, dem wir unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden haben, betrifft

die Anlage der Bühne.

Zu einem sicheren Ergebnis aber werden wir in dieser Be-

1) Das Drama hat zugleicli den äußerlichen Vorzug, daß es im Gegensatz zu den übrigen Tragödien und Komödien des Verfassers in einem auf seine Handschrift zurück- gehenden Neudruck bequem zugänglich ist: herausgegeben von E. Goetze, Halle 1880. (Neudrucke deutscher Literaturwerke des 16. und 17. Jh. Nr. 29). Weiter unten öfters als HS. (= Hüren Seufrid) zitiert.

14 Die Nürnberger Marthakirche als theatralischer Schauplatz.

Ziehung immer nur da kommen, wo wir einen noch vorhandenen oder völHg rekonstruierbaren Schauplatz mit den Anforderungen derjenigen Dramen vergleichen, bei deren Abfassung der Verfasser die örtlichen Verhältnisse eben dieses Schauplatzes durchaus be- rücksichtigt haben muß.

Über den Ort, an dem zu Nürnberg die dramatischen Auf- führungen der Meistersinger stattfanden, sind wir seit dem Jahre 1550 amtlich unterrichtet : durch die Bescheide, die die spiellustigen Bürger auf ihre Konzessionsgesuche seitens des Rates erhalten haben und die gelegentlich auch die Angabe der Lokalität ent- halten, die für die Vorstellung bewilligt oder abgelehnt wurde. In einer Ratsprotokolleinladung heißt es zum 5. Januar 1551 ') : Des- gleichen soll denen, die bei sant Marthe ain comedi halten wollen, dasselbig auch nur am Feirtag nach der predig und die- selbig kirchen darzu zu geprauchen vergönnt werden, weil sies Fernt auch gepraucht haben. Fernt d. h. das vorige Jahr, also 1550.

Ist damit nun aber nachgewiesen, daß diese Aufführung auch wirklich die erste Meistersingeraufführung in der Marthakirche ge- wesen ist? Die erste Aufführung der Meistersinger überhaupt war es nicht. Als eine Einladung zu jener durch das oben mitgeteilte Protokollstück genehmigten Veranstaltung des Jahres 1551 hat Hans Sachs am 3. Dezember 1550 einen Meistergesang verfaßt-); hier wird zunächst der Vortrag der verschiedenartigsten Meister- lieder verheißen, und dann steht in der dritten Strophe:

Auch wellen wir wie andre jar Da ein comedj halten. Auch aus gotlicher Schriße dar, Von Isaac dem alten . .

Dieser Hinweis auf die andre jar zeigt uns, daß nicht nur die Aufführung des Jahres 1550 ins Gedächtnis zurückzurufen ist, son- dern daß eine schon ältere Tradition besteht.

Aber wie weit geht sie zurück? Hans Sachsens dramatische Leistungen setzen, wenn wir hier nicht sowohl an das Fastnacht- spiel wie an Tragödie und Komödie denken, im Jahre 1527 ein und reichen zunächst bis zum Jahre 1536. Daß sie nicht auf dem Papier geblieben, daß wenigstens einige von ihnen aufgeführt worden sind, können wir beweisen, obwohl die städtischen Archivalien schweigen. Ein von Hans Sachs im März 1551 für einen Meister- singer namens Schmidlin gedichteter Gesang, in dem die Rollen

1) Harape, Die Entwicklung des Theaterwesens in Nürnberg (Nürnberg 1900). S. 283 (N. 54 vgl. 50) u. S. 61.

2) Vgl. Michels, Vierteljahrssdn-ift für Literaturgeschichte 3, S. 31 ff.

Nüniberoer Aufführungen 1527 1550. 15

zusammengestellt werden, die der Schmidlin gespielt hat,') zeigt uns auch, abgesehen von den Fastnachtspielen, mehrere Hans Sachsische Stücke der älteren Zeit. Daß es sich aber hier schon um regelmäßige Aufführungen der Meistersinger gehandelt hat, ist sehr zweifelhaft wird doch die Abfassung der Hans Sachsischen Dramen im Jahre 1536 auf geraume Zeit völlig unterbrochen. Einen wirklichen Aufschwung des Nürnberger Theaters führen dann offen- bar die gelehrten Aufführungen Nürnberger Schulmeister herbei, die in lateinischer und in deutscher Sprache, aber jedenfalls auch dann ganz im Stile der gelehrten lateinischen Darstellungen ge- halten sind.-) Amtlich wird am 26. Dezember 1549 den jungen knaben beim Rapolt vergönnt, //• comedi lateinisch in der regiment- stuben (des Rathauses) zu spielen, aber schon vorher sind durch An- gaben deutscher Dramendrucke Schüleraufführungen unter Leitung des bekannten Leonhard Culmann nachzuweisen : zwei schon im Jahre 1539, drei weitere im Jahre 1544 alle fünf in deutscher Sprache. Von hier geht offenbar die Anregung für Hans Sachs zu neuer dra- matisch-theatrahscher Tätigkeit aus : 1545 setzt sie mit der Abfassung von drei Dramen ein und wird seit dem November 1547 immer lebhafter, um dann zumal seit 1550 zu jener staunenswerten Frucht- barkeit zu führen. Schon bei den allerersten dieser Werke, deren Stoffe dem Decamerone entnommen sind, denkt der Dichter an eine Aufführung: sie sind, seinen eigenen Angaben nach, mit so und so viel Personen zu spielen oder auch wohl zu agieren. Ja, vom April des Jahres 1546 an verraten uns des Dichters Handschriften in szenischen Bemerkungen, die später für den Druck verändert sind, auch etwas über die Bühneneinrichtung, die der Dichter bei der Abfassung der Dramen im Sinne hatte: in der Griselda heißt es dort, wo die Brautfahrt des Markgrafen und die erste Begegnung mit Griselda vorgeführt werden : ^) Sie geni in dem sal herumb . . . Griselda get mit Eim waserkrug zv irer zenn. Und ebenso im Hiob aus dem November 1547^): Job get aus der zen; und schließlich ganz ausdrücklich am Schluß des Dramas hinter dem Personen- verzeichnis : Vnd ein Seen mus man habn zv dieser ComedJ. Damit ist ganz deutlich bewiesen, daß diese neue Reihe Hans Sachsischer

1) Nicht Hans Sachs selbst, wie es bei Michels heißt, der den Meistergesang a. a. 0. S. 43 ff. gedruckt und erläutert hat, und ebenso bei Hampe S. 62f. Michels berichtigt sich S. 615f. Das Gedicht wird uns weiterhin noch für einen andern Zweck wichtiges Material Uefern.

2) Über die Bühnenverhältnisse des deutschen Schuldramao sind wir durch das diesen Titel tragende Buch des P. Expeditus Schmidt (Berlin 1903) besser als früher unterrichtet allerdings : eine sichere theatergeschichtliche Methode zeigt sich nur in einigen An- sätzen, und das große chronologische und lokale Durcheinander ist reciit bedenklich.

3) KG. 21, S. 352 zu 2, S. 47, 4.

4) Gedruckt im Anhang dieses Buches als Ergänzung zu KG. 6, S. 35,12 und 55,15; die letztgenannte Stelle auch bei KG. 23, S. 519, aber dort steht unverständlich statt scen: ßen. Ebenso in den Menaechmen (1548): 'Rosina in die zen' (zu KG. 7, S. 101. 17).

16 Nürnberger Aufführungen 1527 1550.

Komödien und Tragödien, die offenbar für jene in dem an- geführten Meistergesang aus den Jahren vor 1550 nachgewiesenen regelmäßigen Vorstellungen der Meistersinger geschrieben sind, angeregt ist durch die gelehrten Schulaufführungen der vierziger Jahre. Denn diese zenn oder scen, von der da die Rede ist, das ist nichts anderes als die scena der Schulbühne: die Andeutung eines Hauses, aus dem die Personen kommen oder in das sie hin- eingehen, durch einen Vorhang, hinter den man treten kann,') in der Art, daß öfter mehrere Szenen einen Schauplatz begrenzen: Griselda gel zu irer zenn. Der eigentliche Schauplatz aber ist ein sal. Es wird daraus klar, daß diese ersten Meistersingeraufführungen noch nicht in der Marthakirche stattgefunden haben später ist von sal und scen nicht mehr die Rede, und auch die eben behandelten Hinweise in den Dramen von 1546 bis 1548 sind, wie erwähnt, später bei der Veröffentlichung beseitigt worden : nun waren andere Bühnen- verhältnisse maßgebend geworden voran die, die durch die Räum- lichkeiten der Marthakirche bedingt waren. Ihre Rekonstruktion ist unsere eigentliche Aufgabe, und wir sehen nun, daß wir, da wir mit Sicherheit erst in das Jahr 1550 die erste Aufführung in der Kirche zu setzen vermögen, am besten uns auf die Benutzung der- jenigen Hans Sachsischen Dramen beschränken, die seit 1550 verfaßt sind es ist immerhin noch die überwältigende Majorität und ein Material, dessen alles berücksichtigende Ausnutzung die größten Aufgaben stellt. Die Frage nach der Entwicklung der Hans Sachsischen Bühnenvorstellungen von 1527 bis zum Jahre 1550 erfordert eine besondere Untersuchung, sie wird zumal mit dem Umstände zu kämpfen haben, daß uns für die dramatischen Werke vor 1545 statt der ursprimglichen Fassungen nur die späten Redaktionen des Hans Sachsischen Alters zur Verfügung stehen.

Wenn man heute in Nürnberg vom Bahnhof kommend das Frauentor durchschreitet und in die Königstraße einlenkt, so sieht man nach wenigen Schritten rechts die Marthakirche, die angeblich 1360 begründet, zuerst Kirche eines Pilgrimspitals war, dann nach der Reformation den Meistersingern für ihre Veranstaltungen diente, im 17. Jahrhundert wieder für Predigt und Kinderlehre benutzt und schließlich 1810 den Reformierten eingeräumt wurde, die hier noch heute ihren Gottesdienst begehen. Man sieht sie oder eigentlich: man sieht sie beinahe nicht; denn sie ist sehr stark zurück- und eingebaut, und die kleine Fassade, die wir S. 17 nach einer Abbildung des 18. Jahrhunderts wiedergeben, tritt nicht sehr anspruchsvoll auf. Schreitet man aber ins Innere, das unser theatergeschichtliches Interesse im Grunde allein fesselt, so erblickt man eine freundliche

1) Vgl. zunächst Expedilus Schmidt a. a. O. S. 123 ff.

Die Martliakirclio jetzt und einst.

17

gotische Kirche von wenig bedeutenden, aber gefälhgen Raum- verhältnissen.

Wieweit, so fragt sich nun zunä{;hst, ist der heutige Zustand geeignet, uns das Bild der Zeit vorzuführen, in der Hans Sachs mit seinen Meistersingern hier Tragödien und Komödien agierte? Die Kirche ist 1615 und 1729 „renoviert"') und 1865 durch den Ober- baurat Solger umgebaut worden. Worauf jene Renovierung sich

Abb. 1 : St. Martliakirche zu Nürnberg (nach einer Abbildung des 18. Jalirhunderts).

bezog, läßt sich freilich heut kaum noch ermitteln ; dagegen können wir mit absoluter Sicherheit erklären, daß sie ursprünglich nicht wie jetzt fünf schiff ig,-) sondern nur dreischiffig gewesen ist, und mit leidlicher Bestimmtheit hinzufügen, daß sie in diesem Zustand bis ins 18. Jahrhundert fortbestanden hat, also auch zu Hans Sachs- ens Zeit dreischiffig gewesen ist: darauf weist die hier wieder- gegebene Außenansicht hin, auf der doch sonst wahrscheinlich eine Spur der niedrigeren Seitenanbauten zu sehen wäre, ebenso auch eine im 18, Jahrhundert gedruckte, wohl aus dem 17. Jahr-

1) Vgl. A. Würfel, Diptycba ecclesiae . . . Beschreibung der übrigen Kirchen, Klöster und Kapellen in Nürnberg (Nürnberg 1761? 62? 63?) S. 139. Hier auch bei S. 136 die Außenansicht der Kirche. Die Renovierung von 1615 auch schon im „Nürnbergischen Zion" (o. 0. = Nüi-nberg 1733) S. 68 erwähnt.

2) Eine im Pfarrarchiv aufbewahrte undatierte Bauzeichnung aus dem 19. .Jh. sieht sogar noch eine Erweiterung nach rechts und nach links vor.

H e r r m a n n , Theater. 2

18 Inneres der Marthakirche.

hundert stammende Beschreibung der Kirchenfenster, i) Wir legen also unsern Untersuchungen den von uns S. 19 gebotenen Grundriß (Abb. 2) des gegenwärtigen Bauzustandes zugrunde, 2) müssen aber die beiden äußeren Seitenschiffe uns fortdenken. Es handelt sich dem- nach um eine Kirche von folgenden Maß Verhältnissen : Die Länge des Schiffes beträgt 15,70 m, die mittlere Breite des von einem höl- zernen Tonnengewölbe gedeckten Mittelschiffes 5,50 m, die der beiden mit glatter Holzdecke gedeckten Seitenschiffe 4,50 bzw. 5 m, die Höhe der letzteren 10,70, die Scheitelhöhe des Mittelschiffes 14 m.^^) Der Chor, der aus zwei Kreuzgewölben und einem dritten mit fünf Seiten des Achtecks geschlossenen besteht, ist 9,40 m lang und 10 m hoch, die mittlere Breite beträgt in einer durch eine gewisse Un- regelmäßigkeit des Baus verschuldeten kleinen Abweichung von der Breite des Mittelschiffs 5,80 m; die Sakristei endlich, ein Tonnengewölbe mit zwei Spitzkappen, ist 4,90 m lang und 4,40 m breit.

Auch über die innere Ausstattung der Kirche zu Hans Sachsens Zeit läßt sich manches sagen. Von den Fenstern ist die Rede schon gewesen ; die auf dem Grundriß angedeuteten Türen zu den Seitenschiffen sind, wie schon die oben wiedergegebene Außenansicht aus dem 18. Jahrhundert zeigt, nicht ursprünglich. Besonders gut aber sind wir über die jetzt aus der Kirche entfernten Altäre durch ein handschriftUches, von dem Gemälderestaurateur

1) Nürnbergisches Zion S. 124, wiederliolt Würfel S. 138: Von denen Fenstern so in gleichen mit Historien und Wappen gezieret / melde nur deren Wappen : Das mittelste Fenster hinter dem Altar ist bemahlet mit Historien Altes Testaments, von dem Stiffler Hrn. Waldstromer. Diesem zur rechten ist eines durchaus mit Großischen Wappen gemahlet : Diesem folget eines mit einem runden Wappen / darüber stehet / Heinrich Oertel / starb 1366 / verneuert 1617. Nächst diesem ist eines von Hrn. Hannß Imhof ge- stifftet. Dem erst gedachten Stiffters Fenster zur lincken Hand folget eines / durchaus gemahlet worinnen stehet Friederich Stromer / verneuert 1578. Diesem folget eines zur lincken mit nachfolgendem Wappen: ein Böhaimisch / Mufflisch und Pfintzingisches / ein Böhaimisch und Tucherisches / ein Böhaimisch / Geuderisch und Voickhammerisches: Nächst diesem folget eines / so mit einem Böhaimisch und Rieterischen Wappen gezieret. Diesem folget noch ein gemahltes / mit dem Ottnantischen Wappen bezeichnet. Wenn man vom Chor in die Kirch gehet / ist zur rechten Hand das erste Fenster ein gemahltes / mit einem Schürstabischen Wappen / verneuert 1578. Zu oberst sind 3. kleine Fenster neben einander / in dem ersten ist ein Imhöfisch, im zweyten ein Kohlerlsch, im ch-itten ein Pfintzingisches Wappen. Zur lincken des Chors an der Sacristey ist ein gtimahltes Fenster / unten mit einem Kreßischen / und auf beyden Seiten mit Stein- lingerischen Wappen. Nächst diesem sind nach der Thür zu 3. Fenster / das erste hat ein Rieteri.sch / das andere ein Mufflisch und Hallerisches, das dritte ein unbekanntes Wappen. Denn kommt ein Fenster mit einem gleichfalls unbekannten Wappen.

2) Ich verdanke iim dem freundlichen Entgegenkommen des Herrn Baurats Oskar Schultz in Nürnberg. Für gütige Beratung in baulichen Fragen und für zeichnerische Unttu'- stützung bin ich ferner Herrn Intendantur- und Baurat A. Doeb ber in Berlin sehr verpflichtet.

3) Die Höhenverhältnisse sind mit Hilfe einer ebenfalls vom Herrn Baurat Schultz zur Verfügung gestellten Querschnittzeichnung berechnel.

Ausstatlunsr der Marthakirche.

19

Fror 1828 angefertigtes Inventar') unterrichtet, mit dessen Hilfe wir den Hauptaltar und einen der beiden Seitenaltäre als noch heute an andern Stellen vorhanden nachweisen können. DerHaupt-

1

Abb. 2 : Grundriß der ^fartliakirche zu Nürnberg.

altar, der einst im Chorraum stand, befindet sich jetzt seit 1829 in der Lorenzkirche,-) der Altar, der im Schiff neben dem Chor an

1) Aufbewahrt im Stadtarchiv Nürnberg. Daß es sich um die ursprünglichen AUäre handelt, kann keinem Zweifel unterliegen. Kürzere Beschreibungei. auch im ..Nürnberg. Zion'" und danach bei Würfel.

2) Das Hauptgemälde ist ein Ecce homo, darunter das Abendmahl, auf den Flügeln innen weibliche, außen männliche Heilige. Über die Größenverhältnisse Jieß mir Herr Kirchenrat Heller freundlichst das Folgende mitteilen : „Gesamtliöhe des Altars 3,61 m (Stufe 19 cm, Altartisch 1 m, Aufsatz 2,42 m). Altartisch 2.26 m lang, 0.80 m breit. Auf- satz im allgemeinen 32, imter Berücksichtigung des Gesimsvorsprungs über die Predella 44 cm tief, mit offenen Flügeln 3 m breit."

2*

20

Maithakirche und Predigerkloster.

der Sakristeiseite angebracht war, im Germanischen Museum'), wälirend der ilim an der andern Seite entsprechende Altar-) noch niclit wieder aufgetauclit ist, Endhch ein letzter, heute nicht mehr auffindbarer Schmuck der Kirche: „Am Ende des Chors ist in der Mitte ein großes Cruxifix von Holtz auf einem großen Schwibbogen, um welches Cruxifix die vier Evangelisten in runden musirten Creysen nebst ihren beygefügten Zeichen stehen" s).

Außer der Marthakirche wird als Schauplatz Hans Sachs- ischer Aufführungen auch der Remter des Predigerklosters: der heutigen Stadtbibliothek in der Burgstraße namhaft gemacht,^) ein 23,50 m langer, 8,10 m breiter Saal, dessen Decke von zwei Säulen getragen wird. Wir bieten hier einen Grundriß (Abb. 3) des heuti[';en Zustandes. ')

Abb. 3 : Grundriß des Remters im Nürnberger Predigerkloster.

Es kann uns nun aber natürlich nicht genügen zu wissen: im Remter, in der Marthakirche ist gespielt worden. Wir müssen ge- nauer, so genau wie möghch die besondere Stelle der Bühne be- zeichnen können. Und dafiu- bietet der Remter, abgesehen etwa von den Säulen und den Lichtverhältnissen, nur sehr wenig An- haltspunkte. Hier war der Willkür des Regisseurs bei der Anlage der Bühne ziemlich viel Spielraum gelassen: der Anhalt, den wir für genauere Ermittelungen brauchen, ist aber gerade der, daß diese Willkür durch eingeschränkte Raumverhältnisse ziemlich ge- bunden ist. Das ist in der Marthakirche der Fall, und ihren Raum

1) In der Volckamerkapelle an der Nordwand oben angebracht. Freundliche Mitteilung der üii-eklion des Germanischen Museums. Die Höhe des Altarschreins beträgt 1,50 m, die Breite 1,05 m, dit; Tiefe 0,20 ni. Eine Beschreibung der Bemalungen und Reliefdar- sfellungen, die vielfach auf Martha Bezug nehmen, erübrigt sich hier.

2) Nach Frörs Besdireibung Höhe 4,9, Breite 3,9 Fuß. Das Hauptbild Maria mit Christi Lcüchnam; Beziehungen auf Martha f(!hien.

3) Nihnbergisclies Zion a. a. 0., danach Würfel, auch bei Fror noch erwähnt.

4) Hampe a. a. O. S. TO.

5) In gütig(M' Weise vom Stadlhauamt in Nürnberg zur Verfügung gestellt, dem ich auch sonst zu Dank verpflichtet bin.

Der Altarniuin als Spielplatz. 21

werden wir bei der nun folgenden Inszenierungsrekonstruktion um so eher allein in Rechnung ziehen dürfen, als auch die archiva- lischen Quellen ihm die erste Stelle einräumen: gewöhnlich wird von der Obrigkeit die Marthakirche bewilligt, und so muß die Einrichtung des Spiels auf ihre Verhältnisse berechnet worden sein.

Hier aber belehrt uns schon der Raum selbst etwas genauer über die Lage der Bühne. Die Kirchenbänke sind der gegebene Platz für die Zuschauer '), vor ihnen muß gespielt worden sein, und auch die Lichtverhältnisse weisen besonders auf den Altarraum als den Spielplatz hin. Darf man eine archivalische Notiz aus etwas späterer Zeit mit heranziehen ^), so ergibt sich hier die urkundliche Bestätigung dieser Vermutung: es wird eine Spielerlaubnis mit dem Zusatz erteilt : doch denjenigen, dies bei s. Martha halten werden, sagen, da sie etwas in der kirchen an den stuelen oder altarn zer- prechen, dasselbig wider machen zu lassen. An den Chorstühlen oder Altären kann nur der etwas zerbrechen, der oben im Altar- raum agiert. Zugleich aber scheint der Ausdruck ^//cire anzudeu- ten, daß auch der vorderste Teil des Schiffes: zwischen den Kir- chenbänken und dem Altarraum mit hereingezogen worden ist, denn hier, rechts und links von den Eckpfeilern, sind, wie wir sahen, die beiden Nebenaltäre angebracht gewesen. Und so bieten wir eine photographische Aufnahme des Altarraumes (Abb. 4, S. 22), wie er sich vom Schiff aus dem Beschauer darstellt.

Aber wurde der ganze Altarraum als Bühne benutzt? Auch darauf läßt sich wohl ohne Heranziehung der besonderen hier ge- spielten Werke eine allgemeine Antwort geben. Bei den gewöhn- lichen Singschulen bereits, die in der Marthakirche abgehalten wurden, wurde der Altar durch einen Vorhang verdeckt : die welt- liche Verrichtung darf nicht im Angesicht des Heiligsten geschehen; um wieviel mehr mußte man solche sakralen Rücksichten gegen- über der Vorführung oft recht profaner Komödien nehmen. Durch solche zunächst dem Göttlichen zu Ehren vorgenommene Verhül- lung leistete man zugleich dem Theater einen doppelten Dienst: man gab in der nichts besagenden Stoffhinterwand der nun abge- grenzten Bühne der Phantasie des Zuschauers einen neutralen An- blick, bei dem er sich jedenfalls besser all die Örtlichkeiten vor- stellen konnte, in die der Dichter ihn führen wollte, als wenn ihn der Altar beständig mahnte: du bist in der Marthakirche. Und ferner war durch diesen Vorhang erst die Möglichkeit gegeben, die

1) Die Kirche faßt in ihrem erweiterten Zustand heute 600 Besucher; schwerlich wird bei den Meistersingerauffülirungen, wo man doch auch sehen wollte, also nicht jeden Platz in den Seitenschiffen brauchen konnte, das Publikum aus mehr als 300 Personen bestanden haben.

2) 5. Jan. 1591; gedruckt Hampe 2, N. 196.

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Chorraum der IMarthakirche.

Abb. 4

Chorraiim der Nürnberger Martliakirche (aufgenoiniiien für das vorliegende Buch durch den Pliotographen Ferd. Schmidt in Nürnberg).

Podium und Al)sclilußvorhang. 23

Schauspieler „auftreten" zu lassen. Freilich, Genaueres über die Situation des Vorhangs ergibt die bloße Betrachtung der Raumver- hältnisse nicht: ob er sehr dicht vor dem Altar oder weiter vorn angebracht war, läfM sich zunächst nicht ausmachen.

Endlich ist man wohl schon angesichts dieser lokalen Umstände der Annahme geneigt, daß in dem Altarraum und dem etwa vorn hinzukommenden Teile des Schiffes für die Abhaltung des Spiels ein Podium errichtet war. Die natürliche Erhöhung beträgt nur 15 cm, und so würde man von den weiter hinten gelegenen Plät- zen nichts oder wenig gesehen haben. Erst eine Zusatzerhöhung von mindestens 80 cm würde nach einer sachverständigen Anset- zung einigermaßen ausgereicht haben. Aber freilich: das sind ganz vage Vermutungen, die sich ohne Vermehrung unseres Hilfs- materials zu irgend einer Gewißheit nicht erheben lassen.

Hans Sachsens Drama.

Die ungefähre Lage der Bühne hatte der Raum allein ergeben ; aber schon bei der Frage : wo ist der Abschluß vorhang an- gebracht ? blieben wir stecken, und hier muß die Betrachtung der durch das besondere Drama gebotenen Verhältnisse weiter helfen. Nehmen wir an, der Vorhang wäre ganz nahe dem Altar: hinter dem zweiten Kreuzgewölbe angebracht gewesen, so wäre dahinter ein sechseckiger Raum geblieben, der einer annähernden Berechnung nach, unter Abrechnung des vom Altar in Anspruch genommenen Platzes 18 qm umfaßte. Dieser Raum hätte als alleiniger Hinter- raum der Bühne zu dienen gehabt. Hier hätten die Schauspieler vor dem Auftreten und nach dem Abgehen sich aufhalten, hier hätten sie sich umkleiden, hier auch für das Stück etwa notwen- dige Requisiten bewahren müssen. Ist das für die Anforderungen möglich, die der HS. stellt? Die person in die tragedj sind 17. Auf 18 Quadratmetern, die bei der eigenartigen Form des Hinter- raumes noch nicht einmal voll auszunutzen gewesen wären, hätten sich vor dem Beginn des Dramas und während der Pausen sieb- zehn Menschen zusammen drängen müssen; kaum denkbar. In andern Sachsischen Dramen, wo freilich oft auch ein kleineres Personal genügt, wächst die Personenzahl gar bis zu 34 an.

Nun wird man freilich einwerfen können, daß nicht Jede Gestalt durch einen besonderen Vertreter verkörpert worden sein muß, daß möglicherweise mehrere jfiollen durch einen Spieler dargestellt worden sein können, und wir werden in einem späteren Abschnitt sehen, daß an der Aufführung tatsächlich vielleicht nur 11 Personen beteiligt gewesen sind. Aber dann ist es mit dem ruhigen Stillstehen im engen Raum erst recht vorbei, ein fortwährendes, Platz erfordern- des Umkleiden ist erforderlich.

Aber auch ohne diese komplizierende Annahme ist Platz zum

24 Raum hinter der Biilme. Auf- und Abgänge.

Umkleiden der Schauspieler im HS. nötig. Der Titelheld nämlich muß sich nicht weniger als viermal umziehen. Im zweiten Akt (von 272 274) sagt er ausdrücklich von sich selbst:

Doch ich kamen thiirnier zeug hon.

Schaft mir ros, hämisch, schild vnd glennen

Zum thurniren, stechen vncl rennen. Im dritten Akt aber (vor v. 396) schreibt die szehische Bermerkung vor: Der hürnen Sewfrid kumbt gewappent. Im sechsten Akt tritt Siegfried mit Crimhilden daheim in Worms auf, ohne daß etwas Besonderes über sein Kostüm angegeben ist; wenn die Situation es aber schon an sich unwahrscheinlich macht, daß er hier in schwerer Rüstung ist, so geht die Notwendigkeit, an einen Kostümwechsel vor dem sechsten Akt zu glauben, aus einer späteren Bemerkung (vor v. 939) hervor, wo ausdrücklich ver- langt wird: KÜnig Sewfrid kumbt gewappent. Die vierte Umklei- dung endlich ist dem siebenten Akt aufbewahrt, wo es (vor v. 1062) heißt: Der huernen Sewfried kumpt in kunicklichem gewant. Auch der Riese Kuperan muß sich hinter der Szene waffnen (vor V. 549); doch wird diese Stelle besser in anderm Zusammen- hang betrachtet. Jedenfalls aber muß ein Umkleideraum vorhan- den gewesen sein; die Requisiten in diesem Stück und noch mehr in manchen andern Sachsischen Dramen verlangen, wie sich noch zeigen wird, ebenfalls nicht wenig Platz. Der hinterste Teil des Chors reicht so wenig aus, daß man vielmehr selbst bei Hinzu- nahme noch einer ganzen Bogenwölbung den Raum als gar zu beschränkt ansehen wird; dazu kommt, daß hinten auch eine gewisse Bewegungsfreiheit vonnöten gewesen ist : die Neuauf- tretenden mußten doch an die Auftrittsstelle gelangen können. Und weiter: hinter der Szene mußten, wie sich zeigen wird, auch noch Dinge arrangiert werden, die zur Aufführung gehörten und Platz wegnahmen, darunter ein Hergang, der immerhin vielleicht einigermaßen feuergefährlich war und deshalb in zu großer Nähe weder des Altars noch des Vorhanges sich vornehmen ließ. Auch das führt zu der Notwendigkeit, den Raum zwischen Altar und Vorhang als ziemlich groß anzunehmen, den letzteren jedenfalls weiter nach vorn zu verlegen. Wie weit? das wird sich allerdings von hier aus noch nicht feststellen lassen. Vielleicht eher, wenn wir die Frage aufwerfen, was der HS. für

A u f- u II d Ab g ä n g e

verlangt, und im Zusammenhang damit nuiß auch über die Größe und die sonstige Beschaffenheit der Bühne das Nötige zu ermitteln sein. Wir nahmen im Gange der bisherigen Untersuchung an: alle Schauspieler und Requisiten befanden sich hinter dem Vorhang im Altarraum; von dort wurde aufgetreten, dorthin wurde abgegangen.

RichtuM<ieii des Auftretens und Allgehens. 25

Kommen wir für den HS. mit einem Auftritts- und Abgangs- ort aus?

Hier muß eine Betrachtung vorausgescliickt werden, die eigent- lich eine erst später zu erlangende genauere Kenntnis der Phantasie des Publikums voraussetzt. An dieser Stelle sei zunächst nur zugestanden, daß die Phantasie der Zuschauer Hans Sachsens äußerst naiv, anspruchslos, bereitwillig zu fast jeder Leistung war. Gern stellen sie sich dort etwas vor, wo nichts ist; gern sehen sie einen Gegenstand tur einen andern an: von den Grenzen solcher Einbildungskraft soll hier noch nicht gesprochen werden. Aber was man auch dem Publikum des 16. Jh. sicherlich nicht zumuten durfte, das war die Aufgabe, innerhalb des gleichen Anschauungs- komplexes unter einem Dinge zwei verschiedene, ja entgegen- gesetzte sich vorzustellen. Ganz besonders wird das von der Be- obachtung der Richtungen gelten, aus denen die Schauspieler kom- men, in die sie gehen. Wenn jemand mit der Erklärung auftritt, er komme aus a und gehe in die entgegengesetzte Richtung b, so wird es sich niemand gefallen lassen, daß er nun nach a wieder- abgeht; wenn die Phantasie eben die Aufgabe bewältigt hat, den Hintervorhang für die Front eines königlichen Palastes anzusehen, wird keiner bei der Sache bleiben können, wenn in derselben Si- tuation, dem gleichen „Bilde'' nun jemand aus der Fremde kommt, um i n den Palast zu gehen, tatsächlich aber aus dem den Palast bedeutenden Hintervorhang hervorkommt. Hier ist die zur Ver- folgung der dramatischen Hergänge notwendige Denktätigkeit viel zu sehr in Auktion, als daß sie nicht die Phantasie fort und fort entscheidend kontroUieren sollte. So scheinen mir auch die Illustra- toren damals im Volk gelesene Bücher, dort wo sie mehrere Situationen zeichnen, die hintereinander an der gleichen Stelle spielen, zwar das Detail der Andeutungen des Landschaftlichen und Architektonischen keineswegs immer einfach zu wiederholen, die Richtungen aber in der einmal angesetzten Art getreu beizu- behalten '). Es kommt endlich dazu, daß inbezug auf diesen Punkt gerade die theatralische Phantasie der Zuschauer besonders erzogen ist: durch das Spiel auf öffentlichem Markt, das gewiß auch in Nürnberg noch nicht zu lange tot ist. Hier ist gerade der eigenthche Anhalt für das dramatische Verständnis, die Möglichkeit, in jedem Augenblick den Punkt der Handlungs- entwicklung zu verstehen, in der konsequenten Verfolgung der Richtung gegeben, in welcher die Schauspieler sich gerade be- wegen. Wenn der einzelne Zus(;hauer nicht mehr verstehen kann, was am entgegengesetzten Ende des Marktes gesprochen wird, wenn er auch die dekorativen Details der feststehenden Häuser und

1) Als Beispiel werden die Illustrationen zum Volkslied vom Hürnen Seyfrid dienen können, die auf Hans Sebald Beham zurückführen (vgl. ZDA. 45, S. 61 ff.).

26 Richtungen des Auftretens und Abgehens.

der gerade gebrauchten Requisiten nicht mehr zu erkennen vermag, so sagt ihm die Richtung, in der die Schauspieler ziehen, nicht rein durch das Medium der Phantasie, sondern noch mehr durch ver- standesmäßige Erwägung: jetzt wird Christus vor Pilatus gebracht usw. usw. So wird man auch in der Marthakirche die Ansetzung der Richtungen innerhalb eines „Bildes" unmöglich ganz vernach- lässigt haben können. Und am allermeisten mußte man jedenfalls eine Konsequenz einer solchen Nichtbeachtung der dem Verstände einleuchtenden Richtungen vermeiden : daß abgehende Personen auf eben auftretende stoßen, die sie doch dem Gange der Handlung nach unter keinen Umständen sehen dürfen.

Unter diesem Gesichtspunkte betrachtet, ist die Frage : kam die Meistersingerbühne mit einer Auftrittsstelle durch die Mitte des Vorhangs aus? rasch abgetan. Schon der HS. wird uns zeigen, daß es dann an jenen bei aller Beweglichkeit der Phantasie unerträg- lichen Situationen nicht gefehlt hätte. Im ersten Akt ging es allen- falls noch an: da nach v. 123 ein neuer hypothetischer Schauplatz vorgestellt wird, ein neues „Bild" eintritt, darf eine Pause erfolgen, und die nach hinten abgehende königliche Gesellschaft brauchte so den von hinten auftretenden Schmieden nicht unmittelbar zu be- gegnen. Schon im zweiten Akt wird es anders. Der Ernholt geht (nach v. 2S0) auf Geheiß des Königs Gib ich ins frawen zimer nein, um die Königstochter Crimhilt zu holen: ins hinere des Palastes also, den die Zuschauerphantasie in dem Hintervorhang erblickt. Im gleichen Augenbhck kommt der junge Sewfrid: aus der Ferne, tatsächlich aber eben von der Stelle, die im gleichen Augenblick die Palasttür bedeutet, und er träfe hier ganz sinn- widrig auf den abgehenden Ernholt. Ebenso würde nach v. 298 der mit Crimhilt davonfliegende Drache auf den König, Sewfrid und den Ernholt stoßen, die von fern (vgl. 305) die Fahrt durch die Luft mitangesehen haben, und, selbst wenn wir das Eintreten einer kleinen Pause annehmen, wäre die Illusion gar zu gröblich ge- stört. 0 Im dritten Akt sehen wir zunächst den Drachen mit der Jungfrau am Fuß des Gebirges: sie muß in den höhlenartigen Weg, der zum Gipfel führt: Dariimb schlewff in die hell herein, sagt V. 394 der Drache zu ihr. Der Raum hinter dem Vorhang würde also für den Zuschauer jetzt die hell bedeuten; im nächsten Augenblick ist er gerade umgekehrt die Gegend, aus der der verfolgende Sewfrid kommt. Das Eintreten einer Pause

kann zwar das Aufeinanderprallen der drei beseitigen, aber was bleiben würde, wäre die Phantasiestörung, die noch besonders be- ton l würde durch Sewfrids Worte (v. 399 ff): /// meinem sin las ich mich duncken, Wiesich der trach da rein det schwingen

I) Die Stelle im Anlauft des zweiten Aktes vor v. t!Ht die nocli tjrößere Schwieritikeilen niaclicn würde, soll später in andeini Zusaininenlinnfj; eiörli'rt werden.

Auf- und Abgänge. 27

Auf das gepirg durch diese klingen . . Wohin sollte er bei dem da rein und diese wohl zeigen ? Nach der Stelle, von der er selbst kam? Nach einer Stelle, an der der Drache soeben nicht abge- gangen war? Beides hätte der Zuschauer gleich wenig gebrauchen können. Im vierten Akt (vor v. 511) und im sechsten steht es nicht besser; hier erweist besonders die Stelle v. 902 ff. die völlige Unmöglichkeit, mit einer Abgangs- und Auf trittssteile auszukommen. Sewfrid spricht zu Crimhilt: Ich wil gen in den innern sal; es folgen die szenischen Bemerkungen: Der hüernen Sewfrid get ab. Der Ferner kumpt und sieht im nach, kert sich zv Crimhilt und spricht. Hier ist durch das sieht im nach das sonst noch etwa an- wendbare Aushilfsmittel, eine Pause zwischen Abgehen und Auf- treten anzunehmen, ausgeschlossen. Aber damit der Ferner Sewfrid nachsehen kann, darf er ihm nicht in die Arme laufen, und ferner zeigt sich auch hier der alte, durchaus zu beseitigende Übelstand : der Raum hinter dem Vorhang bedeutet den innern sal, und im gleichen Moment soll sich der Zuschauer vorstellen, daß von dorther Dietrich aus seinem heimatlichen Bern kommt. Hans Sachs rechnet also mindestens mit zwei Stellen für Auftritt und Abgang. Aber wo waren sie gelegen? Solange wir unsere bisher gewonnene Gesamtanschauung ungemodelt beibe- halten, bleibt nur eine Möglichkeit übrig: statt des einen Eingangs in der Mitte des Vorhangs müßten wir zwei: an seiner linken und an seiner rechten Seite annehmen. Aber damit ist natürlich äußerst wenig gewonnen. Jener Richtungsrationalismus, von dem wir vor- hin ausgingen, verlangt in bestimmten Fällen wenigstens eine möglichst entgegengesetzte Lage der beiden Eingänge. Wenn man links hinter dem Vorhang bei X aus dem königlichen Palast tritt.

kommt man, zumal der ganze Vorhang von Wand zu Wand nur 5 '/2 Meter breit ist, nicht rechts hinterm Vorhang, bei Y also, aus der Ferne. Oder anders ausgedrückt: nachdem jemand hinter den Vorhang, wenn auch auf der einen Seite, abgegangen und damit für die Zuschauer in den innern sal getreten ist, bedeutet der ganze Vorhang für ihre Phantasie den Palast, und wer nun im gleichen Augenblick am andern Endzipfel hervorkommt, der kommt eben auch aus dem Palast und nicht von der Wanderschaft. Wie weit Hans Sachs davon entfernt ist, von diesen beiden Hinter-

28 Terminologie der szenischen Bemerkungen.

eingängen Gebrauch zu machen, zeigt sich besonders an der schon angeführten Stelle nach v. 902, wo der auftretende Berner dem abgehenden Sewfrid nachsehen soll: daß in der szenischen Be- merkung diese Situation besonders vorgeschrieben wird, setzt förm- hch voraus, daß Sewfrid, indem er abgeht, dem auftretenden Ferner direkt den Rücken zudreht und in dieser Stellung, indem er auf seine Ausgangsstelle zugeht, noch ein paar Schritte auf der Bühne tun kann. Geht Sewfrid bei X ab, indem der Ferner bei Y erscheint, so ist jene Darstellung fast unmöglich. Es bleibt nichts anderes übrig und die weiter unten herangezogenen Situationen aus andern Sachsischen Dramen werden die Berechtigung dieser Behauptung erst recht erweisen als die Erklärung: Hans Sachs hat zwei einander wirklich entgegengesetzte Ausgänge zur Ver- fügung gehabt; lag der eine, wie nicht anders anzunehmen, hinten am Vorhang, so muß die Mögliclikeit bestanden haben, auch vorn die Bühne zu betreten und zu verlassen.

Beruht nun die bisher vorgetragene Annahme im wesenthchen auf einer Kombination, deren Elemente die gegebenen Raum- verhältnisse einerseits, die erschlossene Psychologie des Hans Sachsischen Fublikums anderseits sind, so wird sich weiter fragen : ist sie durch eine, vielleicht nicht ohne weiteres erkennbare, Be- stätigung noch zu stützen, die uns der Dichter selbst gibt? Der Dichter Hans Sachs in seiner Eigenschaft als Kenner der Bühnen- verhältnisse, für die er schreibt, so zu sagen als Regisseur seiner eigenen Werke. Solche Bestätigung aber dürfen wir nicht aus der eigentlichen Dichtung herauslesen, sondern nur aus demjenigen ihrer Bestandteile, in dem möglicherweise der Poet wenig oder gar nicht, dagegen der Regisseur durchaus zu Worte kommt. Es fragt sich : gibt es bei Elans Sachs eine einigermaßen feste

Terminologie der szenischen Bemerkungen?

Außerordentlich mannigfaltig ist ihr Inhalt: nicht nur auf Ab- gehen und Auftreten, sondern auch auf Dekorationen, Requisiten und Kostüme und endlich auf die Bewegungen der mitspielenden Personen hat er Bezug, und so wird im einzelnen von ihnen noch viel die Rede sein. Hier mag lun* zunächst mit ein paar Hinweisen der Anschauung entgegengetreten werden, daß Hans Sachsens Zwischenbemerkungen überhaupt keinen bühnlichen Sinn, sondern gewissermaßen rein epischen Sinn haben. Schon der Mangel an Variation, die ständige Wiederkehr typischer Wendungen weist auf die terminologische Bedeutung der allermeisten Angaben hin. Vor allem aber genügen ein paar ganz prägnante Beispiele, die weiterhin in andern Zusannnenhängen noch reich vermehrt wer- den. In der Tragödie von Romulus und Renuis (1560) heißt es bei einer Gewitterszene (KG. 20, S. 180): Da machet man ein gerüm-

Terminologie der szeniseheii B( iiiei kimticii. „Kingehen" und „konnnen." 29

pel, als ob es donner und ein un(/stünun weiter sei/, und iin Ahab mit dem frommen Nabot (1557) steht an der Stelle, wo des letzteren Steinigunji; vorgeführt wird, (KG. 10, S, 411): Da werffen die zwen mit gemachten steinen zu, biJ3 er feilt und spricht. Wie deutlich wird es hier, daß die theatralische und nicht die dichterische Anschauung- beim Verfasser herrscht und zum Ausdruck kommt! Es zeigt sich ferner mit zwingender Deutlichkeit und weiterhin werden die Einzelbeweise dafür erbracht werden , daß so gut wie niemals in diesen szenischen Vorschriften Dinge verlangt werden, die mit den dem 16. Jh. zur Verfügung stehenden Mitteln auf der Nürnberger Marthakirchenbühne nicht auszuführen sind: ein Dichter, der nicht fortwährend an seine szenischen Bedürfnisse gedacht hätte, würde da ganz anders der Phantasie Nahrung ge- boten haben. So aber erwächst uns die Pflicht, in der Wiederkehr der gleichen Ausdrücke eine Vorschrift zur Benutzung der gleichen szenischen Mittel zu erblicken und unter Umständen nach dem bühnlichen Sinn einer solchen Terminologie auch da zu suchen, wo sie nicht ohne weiteres ihre Bedeutung enthüllt.

Eine solche bisher nicht bemerkte Eigentümlicdikeit aber tritt uns bei genauem Zusehen in den szenischen Anweisungen ent- gegen, die sich auf das Betreten der Bühne beziehen. Das Auf- treten der Personen wird in den szenischen Bemerkungen fast aus- schließlich durch get ein {gen ein) oder durch kumpt (kumen) an- gekündigt. Dieser Unterschied zieht sich durch das ganze Stück und kehrt in allen andern Dramen wieder. Bei der entgegen- gesetzten Funktion steht so gut wie immer nur: get ab (gent ab), und so liegt kein Grund vor, an eine bloße, etwa aus ästhetischen Rücksichten erfolgte Variation des sprachlichen Ausdrucks zu denken; wir w^erden vielmehr allen Grund zu der Annahme haben, daß get ein und kumpt nicht die nämliche Bedeutung besitzen. Zunächst möchte man vielleicht auch hier daran denken, daß Hans Sachs bei solcher Nuancierung des Ausdrucks an den Leser gedacht habe : ihm hätte vielleicht angedeutet werden können, daß er sich in bestimmten Fällen einen neuen Schauplatz oder eine größere zeitliche Pause vorzustellen habe, w^ährend in den übrigen der neu auftretende Schauspieler zu den auf der Bühne befindlichen ohne Ort- und Zeitwechsel hinzukomme. Man könnte also etwa ver- muten, daß get ein das Betreten der leeren Bühne, kumpt das Hinzukommen zur vollen Aktion bedeute. Bei ganz oberflächlichem Zusehen möchte man vielleicht diesen Eindruck haben; aber schon eine nähere Prüfung des HS. zeigt, daß eine solche Hypothese nicht Stich hält. Wohl get König Sigmund vor v. 52 ein, nachdem durch das Abtreten des Ernholt die Bühne leer ist, wohl heißt es auch vor v. 124, w^o uns der Dichter vom niederländischen Hof in die Schmiede führt, von deren Bewohnern: sie gent ein; aber

30 „Eingehen" und „kommen".

schon V. 140, bei dem SewMd zu ihnen kommt, durchkreuzt die scheinbare Regel, denn er get ebenfalls ein, und wenn im zweiten „Bild" des zweiten Aktes vor v. 227 von dem auf die leere Bühne tretenden Gibich gesagt wird, er get ein und v. 231 der ihn be- suchende Sewfrid kumpt, so steht doch dies Sewfrid kumpt auch schon im Beginn des Aktes vor v. 193, wo er als erster auf dem neuen Schauplatz erscheint. Ebenso wäre auch weiterhin get ein gegen das oben angenommene Prinzip vor v. 640 und 1074, kumpt ihm zuwider vor v. 396, 511, 937 und 1062 angewendet. Nun soll, wie sich noch zeigen wird, keineswegs behauptet werden, daß Hans Sachs mit der Sicherheit einer Maschine in der Anwendung seiner Terminologien arbeite: es wird sich immer nur um ein einiger- maßen festes Prinzip handeln, gegen das aus verschiedenen Ver- anlassungen bald einmal verstoßen werden kann, und daß wir Aus- nahmen von jeder Regel treffen, wird uns nicht Wunder nehmen. Aber hier ist die Zahl der Ausnahmen verhältnismäßig so groß, daß die Regel dadurch ihr Dasein verliert, und jedes andere Hans Sachsische Stück, das wir daraufhin durchsehen, wird das gleiche Verhältnis ergeben.

So werden wir das Recht haben, nach einer andern Unter- scheidung zu suchen und die Kennzeichnung der Auftrittsstellen durch besondere termini für des Dichters Absicht zu halten, sofern hier eine besser eingehaltene Regel sich feststellen läßt. Ist in den Fällen, wo wir annehmen müssen, daß in demselben „Bild" nacheinander auftretende Personen aus der gleichen Richtung kommen, stets oder so gut wie stets der eine Ausdruck verwendet, während dort, wo eine Person aus entgegengesetzter Richtung kommen muß, der andere Ausdruck sich findet? Und stehen die so ermittelten Gänge der Schauspieler zu den etwa sonst über ihre Bewegungen auf der Bühne gebotenen szenischen Bemerkungen und zu den etwa noch auf dem Schauplatz zu ermittelnden fest- gelegten Dekorationssurrogaten oder Requisiten in einleuchtender Beziehung, so daß wir das Bild, das Hans Sachs sich während der Abfassung des Dramas von den Bewegungen seines Personals machte, ziemlich widerspruchslos rekonstruieren können? Ein paar Beispiele hier zunächst nur an Stelle der später folgenden ganz genauen Einzeldarstellung: sie zeigen, daß an den entscheidenden Punkten Hans Sachs tatsächlich jene Gegeneinanderstellung vor- nimmt. Wo es irgend darauf ankonnnen kann, durch die Hervor- hebung einer Richtung, die doch wieder nur durch die Betonung mindestens einer Gegenrichtung zu charakterisieren ist, der Phanta- sie des Publikums einen Anhalt zu geben, finden wir das get ein und das kumpt in sehr sorgfälliger Scheidung verwendet. Die in lausend hanssachsischen Szenen vorkommende Hauptsiluation: Königsschk)ß inid seine Bewohner auf der einen, die Fremde, die

„Eingehen" und „kommen". 31

Ferne auf der andern Seite wird auf solche Weise gekennzeichnet, daß die Bewohner des Schlosses einzugehen, die Fremden zu kommen pflegen, und besonders wird das dann streng festgehalten, wenn jemand der ins Schloß geht, einem aus der Ferne Kommenden nicht begegnen darf. Der letztere kumpt alsdann, während der andere eingegangen ist und die Bühne nun auch nach hinten wieder ver- lassen hat. Hinten: denn eingen bedeutet auftreten von hinten, kämmen dagegen auftreten von vorn. Daß wir nicht die umgekehrte Deutung anzunehmen haben, ist fast selbstverständhch: die Phan- tasie des Zuschauers hätte es sich nicht gefallen lassen können, wenn jemand, der aus dem innern sal tritt, von der offenen Vorderseite her, aus der Richtung, in der die Zuschauer saßen, die Bühne betreten hätte : er muß aus dem verschlossenen Teil des Altarraums heraus- kommen; der Fremde dagegen, der, aus der weiten Welt kehrend, dem Königspalaste naht, darf und muß von vorn auftreten, wie jeder Nürnberger, der aus den Gassen der Stadt konnnend zum Altarraum emporsteigen wollte. Es läßt sich aber an manchen Stellen statt psychologisch auch urkundlich erweisen. Nach v. 198 kämpft Sewfrid mit dem (ersten) Drachen, lauffen paid ab. Nachher get er wider ein, während es vorher bei seinem Auf- treten hieß: er kumpt. Das Eingen kann hier aber nur von hinten erfolgen, denn er hat inzwischen daus ain rawch gemacht, sam verprenn er den trachen,^) und das kann doch nur hinten er- folgt sein. Von hinten geht er ein, von vorn ist er vorher ge- kommen. So kummen vor allem, so gut wie überall bei Hans Sachs die zahlreichen Postboten (z. B. Fiorio 1551: KG. 8, S. 307; Tristan 1553: KG. 12, S. 160; Wilhelm v. Ostreich 1556: KG. 12, S. 501; Melusine 1556: KG. 12, S. 543, 548; Wilhelm v. Orieans 1559: KG. 16, S. 65, 77, 84; Antonius 1560: KG. 20, S. 203); man mag das besonders hervorheben, weil in dem gleich durchzu- sprechenden HS. ein Briefbote fehlt, und ein außerordentlich deut- liches Beispiel aus der Comödie Beritola v. J. 1560 (KG. 16, S. 134) soll hier folgen. Es ist der Anfang des 7. Actus, er spielt offenbar vor dem Haus des Caspar Doria zu Genua, in dem die Amme mit Beritolas beiden jüngeren Kindern sich aufhält:

Die amb gehet ein, redt mit ihr selb und spricht:

Ach gott, wo ist mein herrschafft nun ? Mein herr und fraw und der eltst sun In dem eilend, arm und verdorben, Oder für grosser trübsal gstorben ?

1) Diese Stelle mit ihrem sam gehört auch zu denen, die das Bühnentechnische der szenischen Bemerkungen beweisen. Vgl. o. S. 28 f.

32 „Eingehen" und „kommen".

Der postbott kombt, blest und schreit darnach.

Wer zeygt mir hie zu Genua

Das hauß herr Caspar Doria ?

Kan mir denn das kein mensch nit sagen?

Die amb schreijt:

Herr! herr! ein bott thut nach euch fragen.

Herr Caspar Doria gehet ein vnd spricht: Was bringt der mann für bottschaft da ?

Die Amme also get ein: von iiinten, aus Dorias Hause und hält ihren Monolog, der Postbote kombt: von vorn, aus der Fremde und fragt nach dem Doria. Die Amme schreit den Herrn heraus, und richtig, er get ein: er tritt, wie vorher die Amme, aus dem Hause, d. h. dem hinteren Vorhang. Und so ist es auch, wenn der aus der Ferne Kommende kein Bote, sondern etwa gar der Hausherr selbst ist. Ein Beispiel aus der Tragödie Jephthe v, J. 1555. Der Anfang des dritten Aktes bringt die Heimkehr des Siegers, der das, was ihm zuerst aus seinem Hause entgegentreten wird, dem Herrn als Schlachtopfer weihen will. Da heißt es (KG. 10, S. 179 f.):

Die Tochter Jepthe gehet ein mit einer bauchen vnnd redt mit ihr selb und zwo jungkfraiven volgen ir nach:

Gott sey lob! ich hab gewiß vernommen

usw. Jepthe kombt, die Tochter geht ihm entgegen vnd spricht:

Hier verlangt der Zuschauer unbedingt, daß ihm das Entgegen- kommen deutlich vorgeführt wird; auf die schönste Weise wird das ermöglicht, indem die Tochter hinten aus dem Vorhang, d. i. dem Hause tritt, der Vater dagegen an der Vorderseite der Bühne erscheint: so kann ihm jene über die ganze Tiefe der Bühne weg gerade entgegengehen.

Aber durchaus nicht etwa bleibt diese Terminologie auf den Gegensatz: Haus Fremde beschränkt, und wo ein Herr in oder vor seinem Hause erscheint, der Gang der Handlung aber nicht die Richtungskontrastierung erfordert, ist das Eingehen auch keines- wegs die Regel, wenngleich es das Gewöhnliche ist. Sondern ganz allgemein heißt: eingen auftreten von hinten, kummen auftreten von vorn, für die verschiedensten Richtungskontrastierungen wird es verwendet, und auch andere Berücksichtigungen der Bühnenverhältnisse spiegeln sich in der Verwertung der in sol- chem Sinne zu deutenden termini. Wieso der Ernholt in der Regel während des „Hildes" nicht einget, sondern kumpt, wieso die Feinde zur Schla(;ht stets von vorn auftreten, wird uns erst

Eingehen und Konnnen. 33

später deutlich werden. Hier wollen wir zunächst die szeni- schen Bemerkungen des HS., soweit sie unter dem behandelten Gesichtspunkte in Betracht kommen, durchgehen, die feine Nuan- cierung, die sich etwa in ihnen ausprägt, für später vorbehaltend.

Vor V. 52 König Sigmund get ein von hinten, aus dem Königspalast , obwohl ein Kommen aus der Ferne hier nicht er- folgt. Die Stelle vor 100 fällt zunächst aus. Das Abgehen, nach V. 123, erfolgt wohl nach vorn: man geleitet Sewfrid, der in die Fremde zieht.

Vor V. 124, Der schmid und sein knecht gent ein: von hinten, in die Schmiede; eine solche hat wie der Zuschauer sich sagt nur einen Eingang; daher kiimpt auch Sewfrid vor v. 140 nicht, sondern get ein; die Tür der Vorhangsspalt (doch s. u. S. 69 ff.) spielt auch insofern eine Rolle, als Sew^frid vor seinem Eingehen klopft (nach v. 137: szenische Bemerkung) und der Knecht zunächst läuft, um aufzutun, und bevor Sewfrid sichtbar wird den Ankömm- ling mit einem Worte beschreibt. Die Stelle vor v. 160 bleibe zu- nächst weg; immerhin mag schon hier darauf hingewiesen werden, daß hier nicht kamen steht, sondern kamen wider. Das Abgehen nach V. 185 und 192 muß gewiß nach hinten erfolgen : durch die eine einzige Schmiedetür.

Vor V. 193 kumpi Sewfrid: von vorn; wir sind im Wald, aber das allein ist nicht der Grund, einen besseren werden wir noch kennen lernen, an sich könnte ganz wohl auch get ein : von hinten, stehen. Vor v. 199 vgl. o. jagt er den Drachen nach hinten ab, macht draußen einen Rauch und get ein: kommt von hinten wieder. Nach v. 226 geht er (wohin?) ab.

Dann get König Gibich ein mit seinem Herold von hinten aus dem Palast ; der Ehrenholt geht ab gewiß nach hinten, da er Crimhilt aus dem frawen zimer, also dem Schloßinnern holt, und trifft somit nicht auf Sewfrid, der vor v. 231 kampt: von vorn, aus der Fremde, v. 258 treten Herold und Crimhilt von hinten, aus dem Schloßinnern auf (wegen des Ausdrucks vgl. u.); nach v. 276 geht Gibich mit Sewfrid zum Turnier: an die grüne Rhein- wiese, aus dem Schloß heraus, w^ohl nach vorn. Crimhilt steht nun stillschweigend und ausnahmsweise hat der Dichter jetzt einen kleinen Szenenwechsel eintreten lassen, ohne alle Personen abgehen und die einzige, die er gleich wieder braucht, wieder ein- gehen zu lassen') an der Zinne; vor v. 285 heißt es: In dem flewgt der trach daher: wie und wo das geschieht, wissen wir vor- läufig noch nicht zu sagen, aber auf der Bühne steht er offenbar noch nicht. Erst vor v. 292 kampt er: von vorn, aus der Ferne, nempt sie pey der hant, laaft eillent mit ir ab: nach hinten, über

1) Vgl. u. S. 40. Herr mann, Theater.

34 Eingehen und Kommen.

die ganze Bühne, und so hat sie noch Zeit, sechs Verse zu sprechen, bis nach v. 298 endgültig steht: Der trache geht mit der junckfraw ab. Unmittelbar vor v. 299 kumpt der König mit Sewfriden und dem Herolt: von vorn, von der Turnierwiese; so sind sie nicht auf den Drachen mit seiner Beute gestoßen.

Das kurze erste „Bild" des dritten Aktes muß vorläufig außer Betracht bleiben. Im zweiten sind wir am Fuß des Drachensteins. Vor V. 396 kiimbt Sewfrid von vorn: auf den Hintervorhang los,- der also den Drachenstein bedeutet; er setzt v. 405 auseinander, daß ein Weg hinauf nicht zu sehen ist. So kann der Zwerg Ew- gelein, der vor v. 412 auftritt, auch nicht durch den Hintervorgang eingehn, er kiimbt vielmehr ebenfalls von vorn. Die erste Szene des vierten Akts sei zunächst wieder zurückgestellt; dann aber vor V. 511 sehen wir den Zwerg und Sewfrid kiimen: wieder von vorn, hinten ist noch immer der unersteighche Berg. Woher der Riese vor v. 548 springt, wohin er vor v. 545 läuft, lassen wir not- gedrungen noch unerörtert; auch das kumpt vor v. 548 mag uns einstweilen nicht befremden. Nach v. 627 können die drei wohl nach hinten abgehn, da unter des Riesen kundiger Führung nun tatsächlich der Aufstieg beginnt.

Im fünften Akt sind wir oben auf dem Berg. Er hat für Leute die nicht fliegen können, nur einen Eingang, und der ist hier hinten gedacht. So get vor v. 628 Crimhilt ein und ebenso vor 639 Sewfrid mit seinen Begleitern, der wegweisende Kuperon voran. Vor V. 702 dagegen kumpt der Drache : er fliegt durch die Luft von fern her und benutzt also nicht den hinteren Eingang. Daß die Jungfrau ebendaher und vor v. 706 auch der Zwerg ebenfalls kumen, werden wir später verstehen. Nach v. 749 gehen alle ab: nach hinten natürlich.

Dann sind wir wieder in Gibichs Schloß ; ganz regelmäßig, daß vor V. 750 der König von hinten einget, daß dagegen der Zwerg, der aus der Ferne botschaftbringend den Geretteten voraneilt, wie alle Boten von vorn kumbt. Sie selbst kommen gewiß aus der- selben Richtung; die szenische Bemerkung vor v. 771 ordnet wenig- stens nicht das Gegenteil an. Nach v. 798 gehen die Wiederver- einigten, gewiß nach hinten, ab.

Im sechsten Akt, im Wormser Schloß, get Sewfrid mit Crim- hilden ein: von hinten; die Gegenrichtung spielt in diesem Bild keine Rolle : ohne daß weitere Personen auftreten, gehen die beiden nach V. 862 wohin? wieder ab. Nach einer Pause get König Gibich ein; wieder sind wir im Wormser Schloß; schon nach 870 ist das Bild vorüber. Nun sind wir in Bern; dessen Fürst Dietrich gei ein mit dem alten Hilteprant; nach 890 gehn sie wieder ab. Dann kommen wir nach Worms zurück: Crimhilt und Sewfrid gent ein, und nach einem kurzen Gespräch v. 902

Eindrehen und Koiinnon. Das Buch des Inspizienten. 35

geht Sewfrid ab, in den Innern sal, wie er sagt, d. h. er tritt hinter den Vorhang, Nun jene wiciitige Stehe! Der Ferner kunibt und sieht im nach: er tritt vorn auf und bhckt auf den hinten Ab- gehenden. — Nach V. 918 geht die Königin hinten ab, der Ferner zankt sich mit Hiltprant, der offenbar zugleich mit ihm gekumen ist, schlägt ihn nieder, verläßt (nach hinten) die Bühne, nach v. 932, und nach v. 936 folgt Hiltprant ihm nach.

Von V. 937 an sind wir nicht am oder im Schloß, sondern im Rosengarten; sein Eingang ist nicht hinten sondern vorn: Crimhilt kumbt (vor v. 937), Sewfrid kumbt (vor v. 939), Dietrich luimbt (vor V. 942). Wo 951—53 der Herolt und Hiltprant sind, bleibt zunächst dahingestellt. Aber vor v. 975 kumpt auch Hiltprant. Nach v. 1003 gehen sie alle gewiß nach vorn ab.

Im Beginn des siebenten Aktes wieder das Wormser Schloß; die Königsöhne Guenther, Gernot und Hagen gent ein und, ohne daß ein andrer dazu tritt, nach v. 1061 jedenfalls auch hinten wieder ab.

Dann führt der Dichter uns in den Wald, Sewfrid kumpt wie in jenem Drachenwald, in der Wildnis des Drachensteins und im Rosengarten: von vorn; er legt sich nieder; vor 1067 kumen die drei Brüder, die ihm nachgegangen sind, in der gleichen Richtung und gehen nach dem Morde wohl nach hinten ab, bei Hof den Leichenfund zu melden ; vom Hofe her, von hinten, get Crimhilt ein mit dem Herold und einem Jäger und tragen den Toten ab. Vom Schluß mag später die Rede sein.

Das wäre die Scheidung aus dem Gröbsten, die erste Probe auf das Exempel, ob jene Theorie Eingehen Kommen = Hinten- auftreten — Vornauftreten ihre Richtigkeit hat. Jedes andere Hans Sachsische Stück mag man zur Nachprüfung heranziehen. Nun wird es freilich an Einwänden nicht fehlen, und ihnen mag zugleich mit dem Versuch, jene These weiter zu stützen und aus- zunützen, hier allmählich begegnet werden.

Erstlich w ird man sagen : wie sollte ein Dichter-Regisseur dar- auf kommen, zwar die Stelle, an der ein Schauspieler aufzutreten hat, fast jedesmal durch die Terminologie deutlich zu kennzeichnen, dagegen ihm für die Stelle, an der er abgehen soll, keinerlei Hin- weis zu geben ? Denn wie wir schon sahen : der Variation Eingen und Kumen steht nur das eine Abgen gegenüber, ganz gleich, ob es von vorn oder hinten erfolgen soll. Die Antwort darauf lautet: Hans Sachsens Tendenz bei der Niederschrift ist nicht, Anwei- sungen zu geben, die der Schauspieler zu befolgen hat, nicht ein „Buch" gilt es herzustellen, aus dem die einzelnen „Rollen** wie im modernen Bühnenleben ,,ausgeschrieben'' w^erden können ; es ist auch nicht eigentlich, wie wir oben es wohl nannten, um uns zunächst allgemein verständlich zu machen, der „Regisseur", der diese szeni-

3*

36 Auftreten aus der Sakristei.

sehen Bemerkungen für die Aufführung und ihre Einrichtung nie- derschreibt ; wenn wir einen modernen Ausdruck anwenden wollen, sind sie vielmehr vom Standpunkt des „Inspizienten" aus zu ver- stehen. Der Dichter oder sein Vertreter steht hinter der Szene, um alles zu dirigieren und auch den Schauspielern im letzen Mo- ment die nötigen Anweisungen zu geben, in der Hand eine be- sondere Abschrift des Stückes, die nicht zuviel Platz fortnimmt, in der doch nicht zu oft umgeblättert werden muß und die daher in dem sonst kaum vorkommenden Schmalfolioformat geschrieben ist '). In ein solches Inspizientenexemplar Hinweise über die Stehe ein- zutragen, an der der Schauspieler abzugehen hat, wäre zwecklos gewesen: da muß der Darsteller allein Bescheid wissen; dagegen war es sehr am Platze, die Auftrittsorte zu kennzeichnen, damit der Inspizient die Schauspieler am richtigen Platze hinausschieben konnte. So scheint jene verschiedenartige Behandlung genügend erklärt.

Ein zweiter Einwand wird der sein. Diese vieheicht lockend durchgeführte Scheidung arbeitet innner mit den Richtungen „hinten" und „vorn", vergißt aber ganz programmwidrig den' Blick auf die gegebenen Raumverhältnisse. Wo sollten in der Marthakirche Darsteller vorn auftreten, wo gibt es da einen Platz, an dem sie vor dem Auftreten den Zuschauern nicht sichtbar sind ? Tatsäch- lich aber hilft uns ein Blick auf unsern Plan es ist wirklich Zeit, ihn wieder heranzuziehen aus aller Verlegenheit. Eine höchst geeignete Stelle zum Auftreten ist vorn vorhanden: kumen- cle Personen treten aus der

Sakristei. Die Bühne muß dann allerdings bis hart an die auf dem Plan deutlich kenntliche Tih^ heran gereicht haben. Schon die bloße Be- trachtung des Raumes und dazu die eine wohl verwertbare archivalische Notiz hatten es uns wahrscheinlich gemacht, daß nicht nur der vorderste Teil des Altarraumes zur Bühne gedient, daß sie sich vielmehr ein Stück über ihn hinaus bis in die Nähe der Zuschauerbänke ausgedehnt und rechts und links über die Breite des Altarraumes etwas hinausgegriffen haben wird. Jetzt wird nun durch das, was sich aus der Betrachtung des Dramas ergab, die Wahrscheinlichkeit fast zur Gewißheit. Die Bühne muß rechts bis in die Nähe der Sakristeitür gereicht haben und wird sich, wohl schon aus Gründen der Symmetrie, nach links ebenso weit ausgedehnt haben. „Bis in die Nähe", nicht unmittelbar bis heran. Zwischen ihr und der Bühne muß sich noch etwas anderes be- funden haben: eine Treppe. Denn nun kommen wir auch vom

1) Wenigstens eine solche Handschrift hat sich erhalten : Wiener Hofhibl. Autogr. X, 4: Mucius Scaevohi. Vgl. den Anhang tlieses Buches.

Das Podium. 37

Drama her, wie vorher von den Raumverhältnissen aus, zu der sicheren Annahme, daß nicht zur ebenen Erde gespielt worden ist, sondern auf einem

P o d i u m.

Und zwar kann es nicht genügt haben, daß der im Schiff befind- liche Teil der Bühne inn die 15 cm erhöht war, um die der Altarraum über das Schiff hinausragt. Es muß vielmehr auch auf dem Bühnenaltarraum und über die ganze Vorderbühne weg ein besonderes, nicht zu niederes Podium gebaut worden sein. Schon der HS. führt darauf hin. Im 5. Akt, nachdem Sewfrid den Rie- sen erschlagen hat, heißt es (vor v. 664) in der szenischen Bemer- kung: Sewfrid wurft in pey aim pain vberab \ ebenso nach dem Drachenkampf in der großen Anweisung vor v. 702: den wirft er auch hinab. Wohin wirft Sewfrid den Drachen und den Riesen? Die Darsteller dieser Rollen mußten liegend den Blicken der Zu- schauer entschwinden und zwar so, daß dabei der Eindruck des Wälzens und Fallens hervorgerufen wurde. Das ist ohne Schwie- rigkeiten herbeizuführen gewesen, wenn auf dem Bühnenraum ein nicht hohes Podium errichtet war. An irgend einer Stelle des hinteren Bühnenteils wir werden später sehen, welche dazu ge- eignet war mußte ein Stück des Podiums fehlen; hier schlug Sewfrid den Gegner nieder, dieser ließ sich dann herabwälzen '), und gelangte so in den Hinterraum hinter der Bühne. Wer aber dadurch noch nicht dazu gebracht wird, ein Podium als notwendig anzunehmen, der lese die folgende Stelle aus Hans Sachsens Cleo- patra vom Jahre 1560: die Szene, da Antonius sich als ein schlech- ter Fischer erweist (K. G. 20, S. 200) :

Sie spricht:

Da thii deinen angel einsencken!

Wie fechst du fisch, kan ich gedencken. Er senckt den angel durch ein loch. Im wird ein lebendig fisch daran gesteckt, den zeucht er herauf und spricht: . . . Dieses loch kann doch nur ein Loch im Podium sein; von hinten kriecht jemand hinunter und steckt den Fisch an Antonius' Angel. Und auch hier zeigt sich ferner, daß das Podium auch an einer Seite der Bühne verkürzt war; denn als Antonius noch einen Fischzug versucht, heißt es bei Hans Sachs weiter: Cleopatra redt mit einer hoffrauwen heimlich, die hecht dem Antonio ein dürren

1) Auffallend ist vor v. 664 warft in pey aim pain vberab, weil in des Dichters Quelle, dem Lied ven hürnen Sewfrid (str. 114, 5 f.) steht:

Er nam jn bei] dem arme, Warff jn vom stayn hindan. Hans Sachs hat also geändert, wolü aus Bühnenrücksichten: der Sewfriddarsteller kann den liegenden Riesen besser abwälzen, wenn er ihn beim Bein faßt als wenn er den Ann nimmt.

38 Podium und Stuten.

fisch an, den zeucht er herauff. Hier muß das Anhängen doch vor den Augen des PubHkums geschehen, die Hoffrau muß also irgend- wo so daß man es sieht, unter das Podium fassen; dies muß daher irgendwo nicht bis an die Kirchenwand stoßen, und das Fischloch des Antonius hat sich gewiß ganz nahe jener Stelle befunden, an der Sewfrid seinen Gegner in die Tiefe warf.

Jedenfalls also gab es ein Podium, und der Ausdruck get ab, den Hans Sachs für das Verlassen der Bühne braucht, ob es nun vorn oder hinten geschieht, gewinnt auf solche Art seinen guten, auf die Raumverhältnisse gegründeten Sinn ').

Sehr hoch kann das Podium nicht gewesen sein; war der Chorstuhl fest und um einige Stufen erhöht, so muß die Höhe dieses Stuhlpodiums das Maximum der Höhe des ganzen Bühnen- podiums bezeichnet haben ; wir denken an 80 cm : soviel konnte man sich herabfallen lassen, ohne sich Schaden zu tun, soviel genügte um ein Herunterkriechen für die Fischbefestigung zu ermöglichen, und die früher angestellte Raumberechnung hatte ergeben, daß man bei einer Podiumhöhe von etwa 1 m auch auf den hinteren Bänken des Schiffes leidlich sehen konnte. Jedenfalls aber mußten, wie hinter dem Vorhang für die Eingenden, so auch bei der Sakristei am rechten Profil der Vorderbühne für die Kumenden Stufen angebracht worden sein, die zur Bühne emporführten; sie nahmen von den 3,5 m, die die Vorderbühne rechts über den Altarraum hätte herausreichen können, wenn sie sich hätte un- mittelbar bis zur Sakristeitür ausdehnen dürfen, etwa 1 m fort.

Jedenfalls aber sind auf solche Art die beiden Auftritts- und Abgangsorte in wesentlich entgegengesetzter Richtung mit den

1) Ziemlich ausnahmslos durchgeführt wird der Ausdruck get ab im Laufe des Jahres 1555; vorher kommen die bei Hans Sachs ursprünglich allein üblichen Termini get aus und get hin immer noch vor. Vielleicht darf man das früheste Erscheinen des get ab benutzen, um für die Verwendung des Podiums einen Terminus post quem zu gewinnen: er findet sich zuerst in den Sechs Kämpfern v. 1. Juli des Jahres 1549 (K.G. 8, S. 17, ZI. 17 u. 23), und so werden wir genau auf die gleiche Zeit geführt, die uns auch vorher schon (o. S. 14 ff.) für den Beginn der Aufführungen in der Marthakirche in Be- tracht zu kommen schien. Ge/ wiederholt sich im Johannes vom Januar 1550 (K.G. 11, S. 210, 5), wird aber häufiger erst in der Jocaste vom April des gleichen Jahres (KG. 8, S. 36, 39, 43, 44, 46, 48). Die weitere Entwicklung ist leider nicht zu verfolgen, da die nächsten Dramen bis zum November 1553 handschriftlich nicht erhalten sind: und nur an die Handschriften kann man sich in dieser Frage wenden, da Hans Sachs sich bei der Druckredaktion seiner gesammelten Werke vielfach bemülit hat, das ihm damals ganz ge- läufig gewordene get ab auch für die älteren Dramen durchzufüln-en. Eine terminologische Unterscheidung der Abgangsorte in den Stücken, die noch get aus, get hin, get ab neben einander gel)rauchen, ist nicht aufzuspüren und ist auch schwerlich vorhanden gewesen. Sonst hätte Hans Sachs gewiß später nicht das gleicliförmige get ab eingesetzt; und wt'mi es öfter bei ihm von einer Person heißt: get ab ... . und dann nach einigen Versen von einer andern I^erson : get auch aus, so spricht das ebenfalls für völlige Identität der beiden Ausdrücke.

Aiiftrittsort kämplcndcr Heere. 39

Mitteln der gegebenen Lokalität schon fast sicher nachgewiesen; ein Hauptbedenken mag freilich manchem noch auftauchen, aber es wird weiterhin gelingen, auch dieses gänzlich zu beseitigen. Zunächst wollen wir versuchen klar zu machen, wie vieles uns, nachdem wir ungefähr die Lage der Bühne abgegrenzt haben, von Hans Sachsens bisher noch nicht erklärten Andeutungen nun ganz deutlich wird. Es mag hier auch darauf hingewiesen wer- den, wie jetzt auch jene Schwierigkeit, die uns die bisher notwen- dige Annahme machte : daß alle Personen, Requisiten usw. in dem selbst bei ziemlich weit vom Altar wegverlegtem Vorhang noch sehr beschränkten Hinterraum sich zusammendrängen lassen muß- ten, nun beseitigt ist, wo auch die Sakristei für die gleichen Zwecke zur Verfügung steht.

Vor allem wird es deutlich, warum Hans Sachs alle Heere, die auf die Bühne treten, um ohne weitere Zwiesprach schon auf der Szene befindliche Gegner anzugreifen, nicht eingen, sondern kamen läßt. Im HS. findet sich ja kein Fall dieser Art, aber man kann beinahe sagen: ausnahmsweise, denn die Zahl der Stellen, an denen Hans Sachs solche Angriffe vorführt, ist unglaublich groß. Und immer kamen die Angreifer, z. B. Hugschapler 1556 (KG. 13, S. 19, 27); Aretaphila 1556 (KG. 13, S. 166); Josua 1556 (KG. 10, S. 112, 121); Ahab 1557 (KG. 10, S. 424); Cyrus 1557 (KG. 13, S. 318 f. u. ö.); Alexander 1558 (KG. 13, S. 497 f. u. ö.); Pontus 1558 (KG. 13, S. 393, 416); Wilhelm von Orleans 1559 (KG. 16, S. 61); Romulus 1560 (KG. 20, S. 172); Sedras 1560 (KG. 16, S. 149). Würden die Angrei- fer von hinten eingegangen sein, so würde man sie nur unvoll- ständig gesehen haben : die schon auf der Bühne Befindlichen hätten ihren Anblick gewiß wenigstens teilweise verdeckt. Und vor allem : durch den Vorhangsspalt kann man eigentlich nur im Gänsemarsch auftreten und somit kaum der Phantasie einen Anhalt für die Vor- stellung eines wirklichen Angriffs geben. Von vorn dagegen, wo wir die Treppe uns fast über das ganze Profil der Vorderbühne, also mehr als 2 m ausgedehnt denken dürfen, können wohl drei Mann in einer Reihe auftreten, und der Zusammenstoß erfolgt vorn ganz und gar vor den Augen der Zuschauer; von dort zog sich der Kampf dann auch öfters nach hinten, und so treffen z. B. an der angeführten Stelle des Wilhelm von Orleans die Reinlender, die kämpfend von vorn gekamen sind, zuletzt auf einen versteckten Haufen, und der kombt binden an sie. All das wird hier nur an- gedeutet, nicht ausgeführt, weil es nicht direkt für den HS. in Be- tracht kommt; unsrer Vorstellung der Gesamtbühne aber führt es die Sicherheit zu, daß wir es an der Sakristeitür mit einer breiten Seitentreppe zu tun haben.

Und diese Sicherheit soll uns gleich weiterhelfen bei der Frage nach der

40 Stellung des Ernholts.

Stellung des Ernholts.

Im Anfang des HS. ist es wie in allen Hans Sachsischen Dramen: der Ernholt betritt von hinten die Bühne und spricht den Prolog; der terminus technicus lautet für ihn an dieser Stelle übrigens immer drit ein im Gegensatz zu den handelnden Personen, für die es get ein heißt; wo der Herold als eigentlicher Mitspieler während des Stückes erscheint, ist das get ein auch für ihn verwendet (vgl. Arsinoe 1559: KG. 13, S. 565). Er betritt die Bühne auch von hinten, aber nur in den nicht so häufigen Fällen, wo er zu Anfang eines „Bildes", also auf der leeren Bühne allein oder mit mehreren Per- sonen erscheint. Sonst, wo er im Lauf des Aktes einzugreifen hat, heißt es regelmäßig: der ernholt kumpt (z. B. Jocaste 1550: KG. 8, S. 51; Fortunat 1553: KG. 12, S.210; Troja 1554: KG. 12, S.285; Ulixes 1555: KG. 12, S. 349, 352; Hugschapler 1556: KG. 13, S. 13, 18, 25, 36; Julian 1556: KG. 13, S. 114, 128; Poncus 1558: KG. 13, S. 397, 421; Beritola 1559: KG. 16, S. 121; Sedras 1560: KG. 16, S. 169; Andreas 1561 : KG. 16, S. 26, 42 u. ö.) Und doch wird man nicht annehmen dürfen, daß er dann stets durch die Sakristeitür tritt.

Es ist nämlich merkwürdig oft überhaupt nicht besonders er- wähnt, daß er auftritt. Nun kommt es allerdings bei Hans Sachs auch sonst vor, daß eine Person plötzlich spricht, ohne daß ihr Er- scheinen vorher in der szenischen Bemerkung stand. Aber diese Fälle, auf die wir noch zurückkommen, sind verhältnismäßig sel- tene Ausnahmen, so daß wir sie gewiß durch Annahme einer gelegent- lichen Nachlässigkeit des Dichters werden erklären dürfen. Dagegen liegt kein Grund vor, nun grade für die Gestalt des Ernholts eine so häufige Nachlässigkeit Hans Sachsens anzunehmen, wie sie das Material tatsächlich gebieten würde. Nur nebenher mögen hier Fälle aus andern Dramen herangezogen werden : Unschuldige Kaiserin 1551: KG. 8, S. 136; Belagerung Jerusalems 1552: KG. 10, S. 475; Hugschapler 1556: KG. 13. S. 30; Vier Liebhabende 1556: KG. 13, S. 177, 182, 188; Marina 1557: KG. 20, S. 93; Cyrus 1557: KG. 13, S. 312. Im übrigen ist hier der HS. besonders lehrreich. Nach V. 51, dem Ende des Prologs, heißt es: Der ernholt get ab, und ohne daß von seinem Wiederauftreten die Rede ist, sagt König Gibich V. 99: Ernholt, Sewfriden pringen thw, und dahinter steht: Der herolt naigt sich, get ab . . . Der Darsteller hatte also wohl die Bühne doch nicht verlassen. Vor v. 226 geht der Herold mit Gibich ein; nach 230 steht Der ernholt get ab, vor 253 erscheint er wieder mit Crimhilt, so daß nun Gibich, Sewfrid, Crimhilt und der Ernholt auf der Szene sind; nach 276 steht Der k'unig gei mit Sewfriden ab; Crimhilt bleibt (wenn auch s. o. S. 33 der Schauplatz sich in die Burgzinne verändert), aber wo ist der Ernholt? Nach der Entführungsszene (v. 298) heißt es dann zwar in der szenischen Bemerkung: Der kiinig kumpt mit Sewfriden

Sti'lliin^r des Ernholts. 41

vml dem herolt gelojfen; aber des Herolds Abgehen war nicht er- wähnt, und er weiß auch v. 312 6 andere Dinge über die Entfüh- rung als die andern, Dinge, die er eigentUch nur hier oben auf der Burgzinne, nicht unten auf der Turnierwiese beobachtet haben kann. War er etwa doch in der Nähe ? Und nun gar im sechsten Akt. Hier ist von dem Auftreten des Herokls überhaupt nicht die Rede, auch in der Rosengartenszene (v. 937 ff.), und doch ist er da. Ja, hier kommt noch etwas Weiteres, zunächst Befremdendes dazu. Hiltprant, der nacli v. 936 abgegangen ist, ist nicht auf der Szene; als aber Sewfrid den Ferner hart bedrängt, heißt es plötzlich in der szenischen Bemerkung (vor 951): Hiltprant sieht Imimlieh zu vnd spricht gemach, und der, den er leise anredet, ist der Herold:

Herolt, ge, pring das pottenprot,

Ferner hab mich geschlagen dot. Und nun: Der herolt drit auf den plan vnd schreit. Beide sind also vorher noch nicht auf dem eigentlichen Bühnenplatz, auf dem eben Sewfrid den Ferner umtreibt, aber doch den Zuschauern einigermaßen sichtbar gewesen; nun tritt der Herold ganz herauf, und vor v. 975, als der von Hiltprant künstlich angestachelte furor diesem den Sieg verschafft hat, heißt es: Der alte Hiltprant kumpt vnd spricht. Jetzt also ist auch er den gewöhnlichen Vorderweg emporgestiegen; vorher kann er daher nur unten an der Sakristei- tür gestanden und von hier dem Kampf zugesehen haben. Für den Ernholt bleibt also nur ein Standplatz übrig: in allen Szenen, wo er irgend zur Hand sein muß, also vor allem an Königshöfen, geht er aby aber doch nur einige Stufen und bleibt etwa auf der letzten stehen; nahe der Wand, so daß andere kumende an ihm vorbei können. Hierher ist er also auch nach dem Prolog abgegangen, so daß der König Sigmund v. 99 das Wort an ihn richten kann; hier steht er während der Drachenszene und schließt sich dann vor V. 299 als letzter dem König und Sewfrid an, die auf die Bühne geloffen kumen; hier steht er bei der Zwiesprache mit Hiltprant. So erklärt es sich auch, daß es, wie wir sahen, meist von ihm heißt er kumpt: denn immerhin, er kommt die vorderen Stufen hinauf, und daß an andern Stellen jede Angabe fehlt: denn eigentlich ist er ja doch schon auf der Bühne. Während des größten Teils der Vorstellung bleibt er hier den Zuschauern sichtbar, wie er auch Prolog und Epi- log spricht, halb der wirklichen Welt angehörig, halb der erdich- teten des Dramas; jene Stufen, auf denen sein Stand ist, bilden die Brücke zwischen diesen beiden Welten: Kunstraum und realer Raum gehen hier ineinander über.

An dieser Stelle mag endlich auch von dem Abgehen am Schluß des ganzen Dramas die Rede sein, weil der Ernholt dabei durch- aus die Hauptperson ist. Sie gen alle in Ordnung ah. Der ernholt kumpt vnd beschleußt. Das ist in den allermeisten Fällen die

42 Abgehen aller Personen am Schluss.

Normalform der szenischen Bemerkung vor dem Epilog. Bis zum Jahre 1554 scheint freilich in solcher Hinsicht noch keine Festig- keit geherrscht zu haben, denn bis zu dieser Zeit kommt es öfter vor, daß der Ernholt eingeht oder eintritt (z. B. Alt Reich Bur- ger 1552: KG. 12, S. 140; Aristoteles 1554: KG. 12, S. 263, Troja 1554: KG. 12, S. 314), dann aber wird jene Form die Regel') (z. B. Vertriebene Kaiserin 1555: KG. 8, S. 194, Julian 1556: KG. 13, S. 140; Daniel 1557: KG. 11, S. 64; Abraham 1558: KG. 10, S. 56; Arsinoe 1559: KG. 13, S. 578; Cleopatra 1560: KG. 20, S. 232; Andreas 1561: KG. 16, S. 55; Thais 1562: KG. 20, S. 44 usw.). Bei jener Vorschrift ist nun im allgemeinen nicht daran zu denken, daß nur die Personen, die auf der Szene sind, die Bühne verlassen wie an andern Bild- und Aktschlüssen auch. Darauf deutet nicht nur der eben nur hier fast immer sich findende Zusatz in Ordnung hin; an einigen Stellen ist die Vor- schrift genauer gegeben, und dazu gehört auch der Schluß unseres HS. Auf der Szene sind Crimhilt, der Ernholt und ein Jäger, und nach Crimhilts Racherede an Sewfrids Leiche heißt es (nach v. 1106): Sie tragen den dotten ab, die kiingin get trawrig hinach, darnach alle in Ordnung. Also nachdem die drei handelnden Personen die Bühne verlassen haben, passieren noch einmal alle im Drama auftretenden Darsteller vor den Augen der Zuschauer Revue; der Ernholt aber spricht den Epilog. Ebenso deutlich wird es etwa in der Arsinoe v. J. 1559 (KG. 13, S. 577 f.): nach dem Tode des Königs Ptholomeus heißt es: Sie gehen alle ab. So kummet der fürst Dion und spricht kleglich einen Monolog. Und dann erst folgt: Sie gehen alle inn Ordnung ab. Der ernholt kumbt und beschleust. Des Ernholts Epilog im HS. will zum Schluß noch die art in gemelten personen moralisch erläutern, und Sigmund, Sewfrid, dem Zwerglein usw. werden nun je zwei oder vier Verse gewidmet. Man möchte danach leicht auf die Vermutung kommen, der Ernholt habe die einzelnen Sprüchlein gesagt, während der betreffende Darsteller sich noch einmal dem Publikum zeigte. Da- gegen spricht wohl nicht der Umstand, daß die ganze Art des Revueepilogs nicht gerade sehr häufig vorkommt; auch nicht die Beobachtung, daß hier nur elf Personen besprochen werden, während siebzehn aufgetreten sind: die fehlenden sechs sind bis auf Gibich Träger unbedeutender Rollen, und diese wurden vielleicht von den übrigen Darstellern mit übernommen, so daß tatsächlich nur elf Schauspieler sich zeigen konnten; bedenklicher ist es schon, wenn im Schlußmonolog des Hagwartus (1556: KG. 13, S. 241 ff.) von fünfzehn mitspielenden Personen nur sieben behandelt werden, oder gar, wenn im Perseus (1558: KG. 13, S. 456) der Ernholt umge-

1) Nur zweimal (zu 11, S. 357 und 18, S. 81j hahcn die Handschriften noch drit ein; im Druck ist es auch da beseitigt.

AbgeluMi aller Personen am Schhiss. - 43

kehrt Personen bemoralisiert, die gar nicht auft^etreten sind, sondern von denen nur gesprochen worden ist. Aber vor allem zeigt jene szenische Bemerkung des HS., daß der Ernholt jene Aufgabe gar nicht ausgeführt haben kann: er hat den Toten mitabgetragen und ist somit bei jenem Aufzug der Schauspieler schwerlich schon wieder zur Stelle. Wem diese Stelle noch nicht zwingend erscheint, der halte sich an den Schluß des Hugschaplers (1556: KG. 13, S. 49) ; hier steht: Sie gehen alle in Ordnung ab. Der ernholt kumbt wider, beschleußt. Dieser außergewöhnliche Zusatz i) wider evheWi sofort die Situation: sie sind erst alle abgegangen und zwar von hinten auftretend nach vorn hinunter; der Ernholt deckt die Nach- hut, und erst wenn alle verschwunden sind, kommt er zuiYi Epilog zurück-). Soll er einer Anregung des Dialogs folgend einmal der erste sein und nicht der letzte, so wird es besonders hervorgehoben: in den Zwölf Argen Königinnen vom Jahre 1562 sagt am Ende Frau Ehr (KG. 16, S. 21):

Geh, erhnholdt, für die köngin auß Der königin fraw Ehren hauß! Es ist also geradezu ein Hinausbefördern, und so heißt es nun : Der Ehrnholt geht vor den zwölff königin, die folgen im mit ge- neygten häuptern samb trawrig auß dem saal. Und nun auch hier: Der ehrnhold kombt wider und macht den beschluß. Zieht hier wie überall die Schauspielerschar in die Sakristei oder aus der Kirche heraus? Der in dem letztangeführten Stück ausnahmsweise benutzte Ausdruck saal besagt nicht viel; oder hat Hans Sachs hier an den Remter des Predigerklosters gedacht? Schon im Jahre 1549 hat der Rat den messerern, so die Josephisch historien zu spilen furgenomen einschärfen müssen, mit denselben klaidern nit über di gassen zu geeri'').

Auf der so schon ziemlich genau abgegrenzten Bühne sehen wir uns nun weiter um, zunächst wesentlich, um die Auf- und Abgangsfrage noch eingehender zu behandeln und die schon erteilte Antwort noch mehr zu sichern. Die Bühne, wie wir sie jetzt an- sehen, schließt offenbar ein

Kanzel und C h o r s t u h 1.

Von ihrer Verwendung für die Aufführung muß nun zunächst die Rede sein, obschon wir damit von neuem in die Frage nach Deko-

1) Allerdings findet er sich erst in A; in S steht das gewöhnliche kumbt vnd. Grade umgekehrt ist es im Sedras vom J. 1560 (KG. 16, 189), wo das wider in der Handschrift steht, dagegen im Druck beseitigt ist.

2) Lelirreich für den Betrieb vor 1555 der handschriftliche, im Druck geänderte Schluß des Trauerspiels Troja v. J. 1554 (KG. 12. S. 314 u. Anhang dieses Buches).

3) Hampe 2, N. 49.

44 Die Kanzel.

rationell und Requisiten übergreifen. Eine bisher nicht bühnen- verständlich gewordene szenische Bemerkung des HS. war die in der Zinnenszene (vor v. 285) : In dem flewgt der trach daher. Daß der Drache sichtbar wird und zwar über der Bühne, so daß man ihn als fliegend denken kann, ehe er dann kiimpt, das heißt, vorn rechts auf der Bühne erscheint, wird kaum zu bezweifeln sein, da es sich um eine szenische Bemerkung handelt. Aber wo geschieht das ? Man könnte denken: hinter dem Vorhang sei eine Leiter aufgestellt worden, und sie habe der Darsteller des Drachen einen Augenblick bestiegen. An der Möglichkeit dieser Vorführung ist nicht: zu zweifeln; aber es gibt eine andere, und sie hat von vorn herein mehr für sich, weil sie die Regie nicht zur Vermehrung der Requisiten oder wenn man will Maschinerien zwingt. Der Darsteller des Drachen war seit dem Anfang der Vorstellung auf der Kanzel ') verborgen, zeigte sich einen Augenblick oben, stieg, während Crimhilt ihm acht Verse aufsagte (Er lest sich herab aus dem hief't), die Treppe der Kanzel herunter, die damals gewiß recht steil war, kam ungefähr neben der ersten Bühnenstufe (an der Sakristeitür) an, und nun kann es heißen Der trach kiimpt, denn er betritt genau so die Bühne, als ob er aus der Sakristeitür gekommen wäre. Wer noch nicht geneigt ist, diese Benutzung der Kanzel für wahrscheinlich zu halten, sei auf zwei Dramen des Jahres 1553 hingewiesen, bei denen man schwerlich die Kanzel als Dekorationsstück wird leugnen können: es ist der Tristan vom 7. Februar und der Fortunat vom 4. März 1553. Daß es sich um zwei so unmittelbar aufeinander folgende Werke handelt, mag darauf deuten, daß Hans Sachs sich eben damals zu- erst der dekorativen Verwendbarkeit der Kanzel bewußt geworden ist. Zunächst der Tristan. Der Zwerg hat dem König Marx ver- raten, daß Tristan und Isald sich nächtlicherweile im Baumgarten an der Linde treffen, und der Dichter führt uns nun die Belauschungs- szene vor (KG. 12, S. 165 ff): Der könig Marx kiimbt mit dem zwergen vml spricht:

Da laß uns steigen auff die linden, Den rechten grund der sach zu finden!

Sie steigen beid auff den bäum. Herr Tristant kombt

und sieht den schalen der zweier auff der linden und spricht . . . Isald, die königin kumbt. Tristant zeigt ihr auff den schalen der

zweier auff dem bäum, sie merckel das vml spricht geht ab

.... Herr Tristant gehet auch ab. König Marx zuckt sein schwerdt, den Zwerg zu erstechen. Der entlauft ihm. König Marx spricht . . steckt sein schwerd ein vnnd gehet ab zornig. Abgegangen sind Marx und der Zwerg also nicht, denn nach des Liebespaares Ver- schwinden sind sie auf der Bühne; es hieß ja auch vorher nicht:

1) Die Kanzel ist lieut nicht mehr die alte, diese befand sich aber natürlich an der gleichen Stelle.

Kanzel und Cliorstulil. 45

sie gen ab, sondern sie steigen auff den bäum. Ohne daß die Zu- schauer die beiden irgend wo oben sehen otler ahnen, geht es auch nicht an; hätte Hans Sachs ihrer Phantasie zumuten wollen, sie sich oben vorzustellen, hätte er in das Gespräch der Liebenden doch mehr Andeutungen gelegt; tatsächlich verläuft es so, daß der Zuschauer ohne stark verdeutlichende Gesten der Darsteller gar nicht verstehen kann, daß Tristant warnt und Isald begreift; daß an ein wirkliches Dekorationsstück nicht zu denken ist, werden wir später noch zeigen, und es liegt schon jetzt im ganzen Charakter unserer Betrachtungsweise, daß wir durchaus vermeiden müssen der Meistersingerbühne eine solche Technik zuzuweisen. Die Kan- zel aber bot sich als einfache und bequeme Hülfe; ob man sie noch wenigstens andeutend dekorativ charakterisiert hat, sei hier nicht erörtert. Hier standen König und Zwerg; so waren sie noch auf der Bühne, als die Liebenden diese verlassen haben; vielleicht hat Marx das Schwert gegen den Zwerg noch oben auf der Kanzel gezückt. Und die zweite Baumszene einen Monat später im Fortunat (KG. 12, S. 211): Andolosia steigt auff den bäum. Viel- leicht hat man die Kanzel auch zu Erscheinungen Gottes verwen- det, so etwa im Eli (KG. 10, S. 252), der auch wieder dem Jahr 1553 angehört. Und so mag die Verwendung für die erste Erschei- nung des Drachen in der Luft auch nicht mehr als unwahrschein- lich gelten.

Das zweite vom Raum gebotene Dekorations- oder Requisiten- stück ist der Chorstuhl, und er erweist sich von vornherein als äußerst wichtig, ja unentbehrlich. Denn in Hans Sachsens Dramen spielt das

Sitzen

eine ungemein große Rolle. Davon muß hier schon die Rede sein, hier vor allem, um noch einige szenische Bemerkungen, die etwa mit dem Abgehen und Auftreten zusammenhängen oder sonst die Richtungen auf der Bühne betreffen, auf ihre Überein- stimmung mit der hier vorgetragenen Theorie zu prüfen.

Daß sich gelegentlich eine Person mit besonderem Bezug auf die eigentliche Handlung niederzusetzen hat, kommt in Hans Sachsens Stücken hie und da vor, und von den dazu etwa nötigen, eigens hereinzuschaffenden Sitzen werden wir späterhin bei den Requisiten zu sprechen haben. Das Sitzen aber ist bei Hans Sachs auch sonst so unendlich häufig verlangt, daß transportable Stühle in einem fort hätten hinaus- und hineingeschafft werden müssen. Ein fester Sitzplatz war dringend notwendig. Prüfen wir zuerst, wo im HS. das Sitzen geradezu Vorschrift ist:

a) nach v. 51 : Künig Sigmund . . get ein mit zwayen retten, sezt sich trawrig nider und spricht

46 Das Sitzen des Herrschers.

b) nach V. 226: Kiinig Gibich get ein mit seinem herolt, sezt sich

nider und spricht

c) nach v. 345 : Der trach fuert die junckfraw auf, sie sizt und waint,

wint ir hent und spricht traurig

d) nach v. 627 : Die junckfraw Crimhilt get ein, sezt sich trawrig

und spricht

e) nach v. 701 : (nach dem Drachenkampf). Die junckfraw kumbt,

sizt ZV im, legt im sein kopff in ir schos, spricht und dann nach 709: Sewfrid sizt auf vnd spricht

f) nach V. 749: Kiinig Gibich get ein mit seinem herolt, sezt sich

trawrig vnd spricht

g) nach V. 798: Der huernen Sewfrid get ein mit Crimhilden,

seiner gemahel, sizen zwsamen, vnd sie spricht h) nach v. 862: Kiinig Gibich get ein, sezt sich nider vnd spricht i) nach v. 936: Crimhilt, die künigin, kumbt vnd sezt sich nider,

spricht.

Von diesen Stellen ist eine (e) durch die Handlung herbeigeführt: das Sitzen Crimhilts und Sewfrids nach dem Drachenkampf. Hier handelt es sich offenbar um ein Sitzen auf der Erde. Die übrigen Stellen, an denen das Sitzen zunächst nicht notwendig ist, lassen sich in zwei Gruppen zerlegen; die erste umfaßt a b f bis i, die andere c und d. Die erste zeigt uns : es ist bei Hans Sachs bühn- liche Gewohnheit geworden, Könige stets sitzen zu lassen, zum Zeichen ihrer königlichen Würde. Wo die Anordnung unterblieben ist, liegt entweder eine kleine Vergeßlichkeit vor, ja auch die noch nicht einmal : es ist fast so selbstverständlich, daß der König oder die Königin sich setzen, wie daß der Ernhold kumbt, und daher kann die gelegentliche Auslassung nicht befremden. Oder der König hat einen bestimmten Grund, nicht Platz zu nehmen. So König Gibich, als er mit Sewfrid zur Burgzinne gelaufen kommt : hier ist die Un- ruhe zu groß, als daß er mit Anstand sitzen könnte; so König Sewfrid, als er gewappnet in den Rosengarten kommt : er geht, des Gegners harrend, auf und ab (vor v. 939) ; so wiederum Sewfrid, als er kurz vor der Ermordung in den Wald kommt: hier legt er sich (vor v. 1062); so Crimhilt (vor v. 1073): sie sucht Sewfrids Leiche und sincket auf in nider. Dietrich von Bern gilt dem Dichter offenbar nicht als König; er wird nie so genannt und hat daher auch kein Anrecht auf den Sitzplatz. Sehr genau und wie ein Zeremonienmeister unterscheidet Hans Sachs : in den ersten fünf Akten, da Sewfrid noch nicht König ist, nuiß er stehen. Die übrigen Dramen bestätigen diese Regel so überreichlich, daß es sich erübrigt, hier Beispiele zu geben. Daß wir aber auch wo das Sitzen des Herrschers nicht ausdrücklich hervorgehoben ist, ihn uns doch sitzend vorzustellen haben, zeigt z. B. der Alte Marschall

Das Sitzen des Traurigen. 47

(1556). Hier stand (KG. 13, S. 78) nur : Der keyser geht ein mitPhilippo, heroldt und den trahanfen, spricht; etwa 60 Verse weiter aber (S. 80) lesen wir: Der keyser steht auff vnnd vmbfecht sein son, er hat also gesessen. Es muß übrigens nicht immer grade ein König sein oder eine Königin ; auch einem Tyrannen, dem Marschall, dem Richter wird der Sitzplatz gewährt; ja, der Arzt wartet sitzend auf Patienten (Jüngling im Kasten 1557: KG. 13, S. 245). Aber das ist doch nicht in dem Maße die Regel, wie es für König und Königin gilt. Gewiß sind die Vorstellungen des Dichters und seines Publikums, die sich die Träger der Krone so wenig wie möglich stehend denken mochten, hier nicht sowohl von der Wirklichkeit erzogen wie von der bildenden Kunst: die Bücherillustrationen und einzelne dem gemeinen Mann zugänghche Blätter pflegten den König oder Fürsten auf einem erhöhten Podium und hier wieder auf einem thronartigen Sessel vorzuführen; selten nur finden wir sie stehend dargestellt. Ein gutes Beispiel bieten z. B. Holbeins Bilder zum alten Testament (Basel 1523). Das Theater, in einer ge- wissen fabrikmäßigen Art, die von seinem Wesen untrennbar scheint, beseitigt die Ausnahmen ganz und führt eine bequeme und etwas geistlose Regelmäßigkeit ein. So hat denn Hans Sachs auch da, wo die illustrierte Vorlage für den HS.- Drama, der Hergotinsche Druck des alten Liedes, die Herrscher stehend zeigte, ihnen seiner Regel getreu die sitzende Stellung gegeben.

Anders liegt es in den Fällen c und d. Crimhilt ist Königs- tochter, nicht Königin, und so kommt ihr der Ehrenplatz vor dem sechsten Akt noch nicht zu. Wenn wir sie trotzdem schon im dritten oder fünften Akt sitzend treffen, so muß das eine andere Veranlassung haben. Gemeinsam haben beide Situationen den Umstand, daß die sitzende Crimhüt traurig ist. Und darin treffen wir offenbar wieder eine Hans Sachsische Regel: wer traurig die Bühne betritt und seinen Kummer in Worten zum Ausdruck bringt, setzt sich nieder. Andere Fälle, wo Hans Sachs das ausdrücklich vorschreibt, sind z.B.: Galmi 1552 (KG. 8. S. 262); Aretaphila 1556 (KG. 13, S. 149 und 156, letztere Stelle besonders interessant); Olvier 1556 (KG. 8, S. 223); Marschall und sein Sohn 1556 (KG. 13, S. 70); Vier Liebhabende 1556 (KG. 13, S. 173, wo sogar der dazu- kommende König vor dem traurig sitzenden Ritter Gernier steht, und 197); Marina 1557 (KG. 20, S. 69); Pontus 1558 (KG. 13, S. 396). Auch hier werden wir darauf aufmerksam machen können, daß die bildende Kunst der Zeit und zumal die dem gemeinen Mann zugäng- liche den Bekümmerten mit Vorliebe sitzend vorführt. Auch wird dem Schauspieler die Darstellung dadurch ungemein erleichtert; wir kommen in anderm Zusammenhang darauf zurück.

In all diesen Fällen handelt es sich nicht um etwas Wesent- liches, nicht um etwas Außergewöhnliches, was die immerhin um-

48 Der Chorstuhl.

ständliche und darum möglichst vermiedene Herbeischaffung eines transportablen Requisits gerechtfertigt hätte. Auf der Bühne aber ist der feste Chorstuhl gegeben, und so werden wir behaupten dürfen: all dieses normale Sitzen findet auf dem Chorstuhl statt. Man wird nämlich, da es sich um eine Spitalkirche handelt, wohl nur an eine n, der Kanzel gegenüber liegenden Stuhl zu denken haben ; allerdings spricht die S. 21 wiedergegebene archivalische Notiz von den stuelen, doch handelt es sich gewiß um einen leicht begreif- lichen Irrtum des betreffenden Magistratsbeamten.

Durch die Feststellung dieses gegebenen Platzes sind wir nun wieder genauer über die Richtungen orientiert, in denen sich die Schauspieler auf der Bühne bewegen. König Sigmund, der vor v. 51 so wie später im fünften Akt Gibich zwei Gründe hat Platz zu nehmen: er ist König und er ist traurig, get durch die Mitte des Vorhangs ein nach links') zum Chorstuhl; nach v. 99 schreitet der Ernholt von der Vordertreppe zum Hintervorhang, und geht dann mit Sewfrid ebenfalls nach links: zum sitzenden Herrscher. So geht Sewfrid vor 231 quer über die Vorderbühne zum Chorstuhl, eben- so vor 758 der Zwerg Ewgelein. Und so fort. Vor allem aber haben wir nun Gelegenheit, dort wo die szenischen Bemerkungen über die Bewegungen der Darsteller etwas genauer sind, die Rich- tigkeit unserer ganzen Hypothese nachzuprüfen: es ist die Frage, ob diese Bemerkungen sich den Konsequenzen des bisher rekon- struierten Bühnenbildes zwanglos einordnen.

Es war früher davon die Rede gewesen, daß wir irgendwo hinten einen Ausschnitt aus dem Podium anzunehmen haben: dort muß im HS. der Held den Riesen und den Drachen abwerfen. Der beste Platz dafür war die linke Ecke : das Podiumstück hinter dem Chorstuhl, der die Lücke wenigstens einigermaßen deckte. So erklärt sich nun die Situation von 664 ff. nach Kuperons Fall:

Sewfrid warft in pei/ aim pain vberab, spricht:

Nun fal über des pirges Joch usw. vier Verse an den in der linken Ecke abstürzenden Kuperon, jedenfalls fast ganz nach hinten gesprochen. Und dann folgt: Er kert sich zv der junckfrawen, spricht. Das stimmt durchaus: sie sitzt auf dem Chorstuhl, er muß sich also umdrehen, wenn er mit reden will.

Geradezu schlagend ist es im sechsten Akt. Zuerst nach v. 902. Der hiiernen Sewfrid get ab: in den inneren Saal, durch den Mittelspalt des Vorhangs. Die zurückbleibende Königin Crimhilt sitzt natürlich, obgleich das hier einmal nicht ausdrücklich vorge- schrieben ist, auf dem Chorstuhl. Der Ferner luunpt und sieht im nach er geht vorn die Stufen herauf und gerade über die Bühne

1) 'Links' und 'rechts' stets vom Standpunkt des Zuschauers aus.

Unregclinäßif^koiten der szenarisc-luMi Terminologie. 49

bis an den Mittelspalt; kert sich zv Crimhilt, denn diese sitzt auf dem Stuhl, sodaß er sieh gerade umdrehen muß. Und dann die Szene nach v. 964: Sewfrid weicht hinter sich, flewcht entlich der kiingin in ii schos, die . . spricht Dietrich lun Gnade für ihn an. Der indessen er steht direkt vor dem Chorstuhl, das Gesicht nach links zu Crimhilt gewandt zwckt das schwert, in zv er- stechen. Da aber kumpt Hiltprant, um sich als lebend zu melden: er geht die Seitenstufen vorn herauf, Dietrich kehrt ihm also ge- rade den Rücken zu. Und nun vor v. 981 : Der Ferner went sich vmb, spricht. Die vorher erschlossene Situation findet in dieser Hans Sachsischen Bühnen bemerkung die vollständigste Bestätigung. Drei Bedenken bleiben noch übrig. Das erste nötigt noch einmal zu einer Betrachtung der

Terminologie der szenischen Bemerkungen

zurück. Wir dürfen auch dem, der durchaus geneigt ist, an die Richtigkeit der bisherigen Ermittelungen zu glauben, nicht ver- schweigen, daß eine absolute Gleichmäßigkeit der szenischen Bemerkungen doch nicht vorliegt. Wir meinen aber, eine solche absolute Gleichmäßigkeit ist auch nicht zu erw^arten ; es genügt, wenn wir überall die Regel sehen und die Ausnahmen zum größten Teil erklären können. Und das ist durchaus der Fall. Hans Sachs ist schließhch doch nicht nur Inspizient: er schreibt seine Dramen, indem er dabei die hier wieder aufgedeckten Bühnenver- hältnisse im Kopf hat, und er denkt bei der Aufzeichnung der szenischen Bemerkungen so viel wie irgend möglich daran, daß ihr Wortlaut ihm bei seinen Inspiziententätigkeit Dienste leisten kann ; aber der einzige Gesichtspunkt kann das nicht immer sein. In gewissen Fällen dominiert der Regisseur über den Inspizienten oder anders gesagt: es ist dem Verfasser wichtiger, dem Schauspieler, der nicht einfach aufzutreten hat, etwas über diese Besonderheit seines Auftretens anzudeuten als nur einfach den Ort seines Er- scheinens zu kennzeichnen. In zwei Fällen ist das deuthch zu er- kennen: ersthch wenn der Schauspieler nicht allein die Bühne betritt, sondern einen andern mit sich führt, und zweitens, wenn das Tempo des Auftretens besonders charakterisiert werden soll. Dann ist die besondere Angabe kumpt oder get ein häufig, wenn auch nicht immer fortgelassen. So heißt es im HS. nach v. 99: Der herolt naigt sich, get ab, pringt Sewfrid, kein Zweifel übrigens, daß beide eingen, ebenso vor v. 253 : Der herolt pringt Crimhilden; ferner im Anfang von Akt 3: Der trach fiiert die junckfraw auf; endlich vor v. 772: Sewfrid fürt Crimhilden ein: natürlich von vorn, aus derselben Richtung, aus der kurz zu- vor der ihre Rettung meldende Zwerg kumpt. Andere Beispiele sind: Aretaphila 1556: KG. 13, S. 167; Hagwartus 13, S. 234;

H e r r 111 a n n , Theater. •!

50 Unregelmässigkeiten der szenarisclien Terminologie.

Jüngling im Kasten 1557 : KG. 13, S. 248, 258 ; Verlorene Sohn, den man richten wolt 1557: KG. 13, S. 278; Cyrus 1557: KG. 13, S. 310; Pontus 1558: KG. 13, S. 382, 413; Alexander 1558: KG. 13, S. 482. Der andere, seltenere Fall spielt im HS. gar keine Rolle; Beispiele sind Fortunat 1553: KG. 12, S. 197: schleicht hinnein; Rosimunde 1555: KG. 12, S. 418. Gelegentlich kommt es auch vor, daß eine Bühnen- regel um der andern willen vernachlässigt ist, so wie wir oben sahen, daß ein König stehen mußte, weil schon ein Ritter traurig saß. So -wird im Cyrus (1557) den natürlichen Richtungen wieder- holt Gewalt angetan, weil Heere, wie wir sahen, aus Bühnenraum- rücksichten nur von vorn die Treppe heraufkommen konnten (vgl. KG. 13, S*. 318,9; 325,6; 329,5).

Anderseits ist es kein Wunder, wenn ein Viel- und Geschwind- schreiber wie Hans Sachs auch öfter einmal einen Verstoß gegen seine Regeln sich zuschulden kommen läßt. Wenn gelegenthch doch einmal ein epischer Rest in einer szenischen Bemerkung Platz findet (aber höchst selten; z. B. Aretaphila 1556: KG. 13, S. 147'); wenn er einen Ausdruck des Dialogs in die unmittelbar folgende szenische Bemerkung übernimmt und wenn sich auf solche Art (z. B. Verlorener Sohn 1556: KG. 11, S. 237) im Anschluß an ein kumb! des letzten Verses ein kumpt in der Bühnenanweisung findet, wo es unbedingt get ein heißen müßte ; wenn das tritt ein des Ernholts ausnahmsweise ein paarmal auch auf Personen des Stückes, statt get ein, übertragen wird (Marina mit Dagmano 1556: KG. 13, S. 102); wenn das typische Der ernholt kumpt des Schlusses auch einmal (Marina 1557 : KG. 20, S. 64) vor den Prolog gestellt wird, wo es tritt ein heißen müßte; der Fehler steht übrigens nur im Druck, nicht in der Handschrift. Ganz selten gibt der Dichter statt des Auftretens das Resultat: das Dastehen an, was man vielleicht neben Jene bloße Charakteristik der Bewegung wie das oben ange- führte schleicht hinnein stellen dürfte (alle drei Belege aus dem Jahr 1556: Melusine KG. 12, S. 530; Verlorene Sohn KG. 11, S. 237; Vier Liebhabende KG. 13, S. 196).

Endlich Fälle reiner Liederlichkeit. So gut wie der Dichter zuweilen die besondere Erwähnung des Auftretens ganz vergessen hat (z. B. Jeremias 1551: KG. 11, S. 5, 8, 11, 12, 13, 20; Ungleiche Kinder Evä 1553: KG. 1, S. 58, 81 ; Magelone 1555: KG. 12, S. 479, 483; Wilhelm v. Ostreich 1556: KG. 12, S. 503, 507; Marina 1557: KG. 20, S. 84 ; in unserm HS. vor v. 499) und einige Male auch das Abgehen nicht bemerkt (z. B. Wilhelm von Österreich 1556 : KG. 12, S. 520, was freilich nur ein Versehen des Druckes ist), so wird man sich nicht wundern, wenn er auch hin und wieder einmal (z. B. Verlorene Sohn 1556: KG. 11, S. 227 oder, besonders auffallend Andreas 1561:

1) In der Handschrift steht übrigens ganz biihnenmäl;5ig: Die zwen trabanten losen an der thiier kumn hinein.

Der dritte Aufgang zur Bühne. 51

KG. 12, S. 47, 91) hinsichtlich des get ein und kumpt sich hat eine Konfusion zu schulden kommen lassen. Wie man bemerkt hat, daß Hans Sachs ganze Dramen dichterisch liederlich gearbeitet, übers Knie gebrochen hat, so kann auch die gelegentliche unsorgfältigere Behandlung der szenischen Bemerkungen, die z. B. im Jeremias v. J. 1551 besonders auffällt, nicht befremden. Im ganzen ist die Zahl solcher Ausnahmen jedenfalls relativ so gering, daß sie nur die Existenz der Regel zu bestätigen vermögen. Vielleicht wird eine künftige streng chronologisch vorgehende Betrachtung des Gesamt- materials auch da noch einiges neue Licht bringen.

Ein weiteres, zunächst gewichtiges Bedenken führt wieder im besondern zu unserm HS. zurück. Den größten Wert haben wir überall darauf gelegt, in den szenischen Bemerkungen, soweit sie sich auf Bewegungen beziehen, nirgends etwas rein Fingiertes zu sehen, sondern bei allen Dingen, von denen sie sprechen, etwas auf der Bühne zu suchen, was der Phantasie der Zuschauer wenigstens einen Anhalt gibt. Nur ein wichtiger Punkt ist noch zurück. Im Anfang des zweiten Aktes, da Sewfrid vom Schmied in den Wald geschickt ist, redet er nicht nur in seinem ersten Monolog von 195 8 von der Höhle, in der, wie sich bald zeigt, der erste Drache wohnt, es heißt vielmehr hinterher, auch in der szenischen Bemerkung: Sewfrid get, schawt ins hol. Der trach schewst heraus auf in. Wo liegt diese Höhle, die zugleich ein Auftrittsort sein muß, da der Drache herauskommt? An die Vordertreppe ist hier natürlich nicht zu denken: da ist Sewfrid eben heraufgekommen, das kann also nun nicht gleich wieder des Drachen Versteck sein. Ebenso wenig aber kann der hintere Vorhang das hol vorstellen: da Sewfrid nach dem Kampfe den Drachen hinter den Vorhang treibt und hier ain rawch macht, sam verbrenn er den trachen, muß sich der Zuschauer da freies Feld vorstellen. Es muß also ein dritter Aufgang existieren, der als Höhle dient. Ganz ebenso aber ist es, wenn wir zunächst von V. 394 absehen, wo die hell nur im Dialog erwähnt wird, im vierten Akt. Ist hier auch zunächst v. 512 die Höhle des Riesen Kuperan wieder nur im Text genannt, so lesen wir doch nach V. 544 in der Bühnenbemerkung: Sewfrid drift den riesen wider, der lest die Stangen fallen, lauß in die holten; aus ihr kommt er dann vor v. 549 neugerüstet heraus; und so muß er auch schon vor V. 499 aus ihr herausgestiegen sein, nach v. 510 in sie sich zurückbegeben haben und vor 513 aus ihr herausgesprungen sein. Auch hier kann die vordere Seitentreppe nicht gemeint sein: denn von dort kumen der Zwerg und Sewfrid; aber auch nicht der Hintervorhang, der das Gebirge vorstellt, dessen Pforten der Riese nachher erschheßt. Auch hier heißt es wieder: die Bühne muß noch einen dritten Aufgang gehabt haben.

Der Bhck auf andere Hans Sachsische Stücke bestätigt die

4*

52 Der dritte Aufgang zur Büline.

Notwendigkeit dieser Annahme. In der Melusine 1556 (KG. 12, S. 556) sagt Goffrey:

. . Vnd wil mich an der glenen mein

Lassen in holen berg hinein, und dann heißt es : Goffroy geht ab in berg. Im Daniel 1557 sind die drei Gesellen Daniels in den feurigen Ofen geworfen, der dabei in der Bühnenbemerkung noch nicht erwähnt wird; ein Trabant kommt und meldet, daß das Feuer viele von Hofgesinde verzehrt habe, und nun ordnet Hans Sachs an (KG. 11, S. 41): Der könig steht auf, geht gegen dem ofen, sieht samb hinein vnd spricht, und dann nach einigen Reden: Der könig schaut wider hinein, hebt darnach sein hendt auff vnnd spricht:

Ir gottes Unecht, Hanania, Misael vnd Asaria,

Nun kombt her auß dem fewer wider! Sie kommen alle drey herauß, heben ir hendt auff'. Da auch hier an die Benutzung des Vorder- und Hintereingangs nicht zu denken ist noch weniger natürlich an einen wirklichen Ofen, der drei Männer beherbergen konnte und der doch auch gar nicht auf der Bühne sein durfte, da man sonst das Verbrennen des Hof- gesindes hätte sehen müssen, das tatsächhch nur erzählt wird -- bleibt nur übrig, einen möglichst lochartigen dritten Aufgang anzu- nehmen, ebenso wie für die Höhle ein niederer Zugang gewiß be- sonders erwünscht war: der mußte das Loch des Ofens vorstellen. Im letzten Akt desselben Dramas wird Daniel in die Löwengrube geworfen; der König spricht (KG. 11, S. 61 ff.): Da last vns für der gruben loch Den stein wider für richten doch . . ., und dann folgt die Anweisung: Der könig versigelt den stein . . . Nach einigen Reden der drei Freunde Daniels kommt der König zurück und ruft Daniel an. Daniel schreidt in der löwen gruben vnnd spricht, der König ordnet an, ihn zu befreien. Die trabanten ziehen in herauß . . . blatzen die zwen fürsten ahn, füren sie hin zur löwen gruben. Auch hier also durchaus wieder die Notwendig- keit, neben den beiden Bühnenaufgängen einen lochartigen dritten anzunehmen. Ganz ähnlich ist es im Bei 1559, wo die Pfaffen einen geheimen Zugang zum Tempel Bels haben müssen, um an seiner Stelle die ihm bestimmten Speisen zu verzehren. Hier schreibt Hans Sachs vor (KG. 11, S. 74 f.): Die drei/ pf äffen kommen durch das loch, essen vnnd trincken und nach 28 Versen: Sie tragen das übrig opffer als mit vnd gehen ab durchs loch. Wieder also der niedere dritte Aufgang. Hier aber versagt die von uns ermittelte Räumlichkeit in der Marthakirche und damit, wie es scheint, auch die ganze bisher vertretene Hypothese.

SaUi'isloi und Bülinc. 53

Und endlich das letzte Bedenken ge^^en sie, das schwerstwiegende, das gewiß schon mancher Leser im Stillen der ganzen Theorie entgegengehalten hat. Der König Signuuid mit seinen Räten und Sewfrid verlassen nach dem ersten Bild (v. 123) die Bühne, indem sie die Seitentreppe hinab und durch die Sakrisleitür gehen: der Königssohn zieht in die Fremde, und die andern geben ihm das Geleit, Im nächsten Bild, in der Schmiede, muß Sewfrid eiiu/en, d. h. hinten aus dem Altarraum kommen. Wie aber ist er von der Sakristei dorthin gelangt? Die einzige Sakristeitür ist ja die, die ins Schiff der Kirche führt. Nach v. 185 hat er die Bühne Jeden- falls hinten verlassen, vor v. 193 tritt er von vorn wieder auf, die gleiche Frage. Nach v. 226 ist er wohl hinten abgegangen: vor 231 kiimpt er. Nach v. 345 verläßt Sewfrid die Bühne sicherlich hinten: in der gleichen Richtung, in der der Drache mit Crimhilt verschwunden ist; vor v. 396 muß er sie vorn wieder betreten. Sewfrid samt Crimhilt und dem Zwerg gehen v. 748 hinten ab, da der Drachenstein nur diesen einen Aufgang hat, vor v. 758 und 772 erscheinen sie über die Vordertreppe. Sewfrid verschwindet vor V. 903 hinten und kommt vor v. 939 vorn wieder zum Vorschein. Und so fort bis zum Ende. Auch mit der Annahme, daß die Akt- pausen benutzt seien, um über die Bühne weg die nötigen Wege zu bewerkstelligen, wird man sich nicht helfen können, ganz ab- gesehen von der entsetzlichen Illusionsstörung, die auf solche Art herbeigeführt würde : auch innerhalb der Akte tritt jene Notwendig- keit, aus dem Altarraum in die Sakristei zu gelangen, im HS. wie in Hans Sachsens sonstigen Dramen oft genug hervor.

So bleibt, um jene sonst so lockende Hypothesenkette zu retten, nur ein Mittel übrig: noch eine neue Hypothese aufzustellen. Sie lautet: Die jetzt vorhandene Tür i n s S c h i f f w a r ni ch t immer der einzige Eingang der Sakristei, in Hans Sachsens Zeit muß vielmehr auch noch eine Tür aus der Sakristei direkt in den Altarraum geführt haben. Für ihre Berechtigung kann man eine Tatsache anführen, die mit den Meistersingeraufführungen nichts zu schaffen hat, sondern ledig- lich in den architektonischen Verhältnissen, im Wesen des Kirchen- baus begründet ist. Diese hypothetische Tür ist für den katholi- schen Gottesdienst, für den doch die Marthakirche im Mittelalter erbaut war, fast unentbehrlich und läßt sich in andern Kirchen fast immer nachweisen. Der Geistliche legt in der Sakristei die Meßgewänder an, ehe er an den Altar tritt; hier in der Sakristei werden die Dinge verwahrt, die für den Altardienst nötig sind, von hier aus werden sie durch die Chorknaben an die heilige Stätte gebracht. Sollte man damit immer erst durch das Schiff an der Kanzel vorbei in den Altarraum gegangen sein, auf einem weiten Umwege also? Liegt es da nicht viel näher anzunehmen, daß an

54 Die zweite Sakcisteitür als Höhle, Ofen, Grab, Fluß.

der linken Sakristeiwand ursprünglich eine zweite Tür sich befun- den hat, durch die man unmittelbar in den Altarraum gelangte, daß diese zweite Tür später, als man ihrer nicht mehr benötigte, aus irgend welchen Gründen vermauert wurde, daß sie aber zu Hans Sachsens Zeiten noch vorhanden gewesen ist?

Mit der Annahme dieser Tür gelangen wir auf das Vortreff- lichste aus allen Schwierigkeiten zur schönsten Klärung. Nicht nur, daß die Verbindung zwischen Vorder- und und Hinteraufgang auf solche Weise hergestellt ist, diese Altarraumtür liefert uns zu gleicher Zeit auch den dritten Eingang zur Bühne, der sich uns ganz zuletzt noch als unentbehrlich erwiesen hat. Wir brauchen nur anzunehmen, daß der Hintervorhang, über dessen Situation wir bisher noch zu keiner festen Anschauung gekommen waren, so angebracht war, daß er die Öffnung der Altarraumtür in zwei Teile teilte. Durch die Hälfte, die hinter dem Vorhang lag, ging der Schauspieler, wenn er hinten die Bühne verlassen hatte und nun vorn wieder auftreten sollte. In der andern Hälfte führte eine für die Vorstellung angebrachte schmale Holztreppe zum Bühnenpo- dium empor. Dadurch aber, daß von dieser halben Türöffnung durch das Podium der untere Teil bedeckt war, sah der obere, von der Bühne aus zugängliche Teil vom Zuschauerraum wie ein Loch aus. Er war also äußerst geeignet, die Höhle zu repräsentieren, aus der vor v. 199 der erste Drache auf Sewfrid herausschießt und in der dann später Kuperon wohnt: vielleicht hat hier hinein nach V. 395 auch die gefangene Crimhilt schlewffen müssen. Hier war der Berg, in den Goffroy sich an seiner Glennen hinab- ließ, hier der feurige Ofen, dem die drei Männner entsteigen, hier das Grubenloch, in das Daniel mit den Löwen geworfen wird, hier das Loch, durch das die Baalspriester zum heimlichen Schmause steigen. Auch als Lazarus' Grab (Lazarus 1551 : KG. 11, S. 251 2), als Feuer, in dem der Marschall brennen muß (Galmi 1552: KG. 8, S. 293) und als Gefängnis (z. B. Beritola 1559: KG. 16, S. 123 ff.) konnte diese Altarraumtür vortrefflich dienen. Im Josua 1556 (KG. 10, S. 104 f.) ist eine zunächst nicht darstellbar scheinende Szene. Josua hat prophezeit, das Volk werde trockenen Fußes durch den Jordan gehen, und das wird tatsächlich vorgeführt: Das volck

zeucht nach, gehn ein mal herum b, die priester stehn still

Josua, der fürst, spricht:

Nun get hinüber allesam

Mit trucknem fuß in Gottes nam!

Vnd eiver zwölff auß der gemain

Hebt auß dem Jordan auff zwölff stain! . .

Sie gehn alle in Ordnung durch, haben stain auff ihren achseln. Josua spricht:

Die zweite Sakristeitür. - 55

//■ priester, min trettet heraiiff Aiiß dem Jordan, der min sein lau ff'. . . Die priester steigen heraiiff

Wie wird das gemacht? durch was ziehen sie hindurch? von wo ziehen sie herauf? Unser jetziges Bühnenbild erklärt uns alles: Sie gehn durch das heißt: durch die Sakristei, in Ordnung, das heißt im Gänsemarsch, wie bei der Schlußrevue, die Priester voran. So entschwinden sie dem Blick des Zuschauers, für seine Phanta- sie sind sie nun im Bett des Jordans. Josua ist auf der Bühne zurückgeblieben und ruft nun : steigt herauf ! Und die beiden vor- dersten, die Priester kommen durch die Altarraumtür, allmählich emportauchend, als ob sie wirklich aus dem Flußbett wieder her- aufstiegen. Dieses Bühnenbild beseitigt tatsächlich sämtliche Schwierigkeiten.

Aber noch ist diese letzte Annahme, die alles lösen kann, auch nur Hypothese. Von der Realität dieser letzten Hypothese hängt die Realität der ganzen Hypothesenreihe ab, die uns allmählich er- wachsen ist. Eine Raumfrage ist es, die den letzten Ausschlag gibt : hat diese Altarraumtür existiert?

Um diese Frage zu beantworten, wandte ich mich tatsächlich erst, als die Untersuchung so weit gediehen war, wie sie hier vor- getragen ist an die zuständige Behörde, das Städtische Bauamt in Nürnberg, unter Einsendung eines Grundrisses, auf dem ich die hypothetische Tür vermutungsweise zwischen den Pfeilern B und C rot angedeutet hatte. Unterm 16. Juli 1902 erhielt ich folgende, von Herrn Oberbaurat C.Weber unterzeichnete amtliche Auskunft');

„Ihre geschätzte Anfrage vom 13. ds. Mts. die Sakristei der hie- sigen Marthakirche betr., bin ich nach Augenscheinnahme durch Herrn Oberingenieur Wallraff in der Lage, wie folgt zu beantworten :

Die Sakristei hatte, wie Sie richtig vermuten, früher einen zweiten Eingang zum Altarraum der Kirche, nur befand sich der- selbe nicht an der von Ihnen mit Rotstift bezeichneten Stelle, sondern im danebenliegenden Bogenfeld (wie im Grundriß blau angedeutet)-). Die Stelle ist in der Sakristei noch genau ersichtlich; die Sakristei- wand ist nebenstehend skizziert. Aber auch in dem Altarraum ist noch ein untrügliches Merkmal der ehemaligen Tür in der fehlenden unteren Spitze des Nischenbogens erkenntlich."

Und mit dieser Ermittlung sind wir wohl aus dem Bereich der Hypothesen auf den festen Boden der Gewißheit getreten. Auch über die Größe des Schauplatzes sind wir nun genau unterrichtet, nun uns auch über die Situation des Vorhangs kein Zweifel mehr

1) Den beteiligten Herren sag ich auch an dieser Stelle für ihre große Güte meinen herzlichsten Dank.

2) D. h. zwischen A und B.

56

Die ganze Bühne.

bestehen kann: da er die zwischen A und B befindliche Altarraum- tür halbieren mußte, war er 2,2 m vom Schiff entfernt. Die Breite der Hinterbühne 6 m, die der Vorderbühne 12 m, der Flächenin- halt der ganzen Bühne ca. 28 qm. Und kaum ein Schritt, den Hans Sachsens Schauspieler auf diesem Schauplatz taten, den wir nicht zu kontrollieren vermöchten. Die Bühne der Nürnberger Meistersinger ist rekonstruiert.

Abb. 5. Grundriß der Meistersingerbühne in der Marthakircbe.

Zweites Kapitel:

Dekorationen, Requisiten, Kostüme.

Dekorationen.

Wenn wir uns nun zu der Beantwortung der Frage wenden, ob für die Darstellung des Hürnen Sewfrid Dekorationen benutzt worden sind, muß von vornherein betont werden, daß es sich dabei nur um Dekorationen im modernen Sinne handeln kann: nicht um eine plastische Nachbildung des Schauplatzes und seiner einzelnen Teile, sondern um eine Täuschung der Zuschauer, die mit maleri- schen Mitteln das Bild jener plastischen Verhältnisse vorzuspiegeln versucht. So unterscheiden sich die Dekorationen von den Requi- siten, bei denen die drei Dimensionen beibehalten zu sein pflegen. In solchem Sinne kannte das Mittelalter mit seiner Marktbühne ei- gentlich nur Requisiten : hier waren die Häuser usw. wirkhch plastisch aufgebaut. Davon kann auf der so außerordentlich kleinen Meister- singerbühne natürlich nicht mehr die Rede sein : die Einführung plastischer Gegenstände mußte hier auf Requisiten im modernen Sinne beschränkt bleiben, auf bewegliche Dinge also, die von den an der Handlung teilnehmenden Menschen im Zusammenhang mit ihr irgendwie benutzt werden. Natürlich ist auch nach dieser Unter- scheidung die Grenze zwischen Dekoration und Requisit nicht immer haarscharf zu ziehen, insofern als auch ein Requisit geringeren Um- fangs als Dekorationsstück, lediglich zur Charakteristik des Ortes dienen kann. Zunächst aber hat der folgende Abschnitt die eigent- lichen Dekorationen im Auge.

Wieder untersuchen wir zunächst die lokalen Verhältnisse, d. h. wir fragen uns : inwiefern ist auf dem von uns nun genau abgegrenzten Bühnenraum die Anbringung von Dekorationen möglich. Hier wird aber zunächst eine Vorfrage zu beantworten sein; sie bezieht sich auf ein theatralisches Hilfsmittel, das man weder zu den Dekorationen noch zu den Requisiten zählen kann, das aber für ihre Verwertung von der größten Bedeutung ist: auf den

Theater Vorhang. Hat die Meistersingerbühne einen Vorhang besessen? Es leuchtet ein, daß, wenn das nicht der Fall war, die Verw^ertung von Deko- rationen in einem den modernen Ansprüchen irgendwie genügen-

58 Theatei'vorhang? Abtragen der Toten.

den Sinne von vornherein kaum möglicli gewesen ist: der fort- währende Dekorationswechsel, den Hans Sachsens Drama verlangen wih'de, ist ohne die Möglichkeit, ihn dem Blick der Zuschauer zu entziehen, technisch kaum denkbar.

Schon die Lage der Bühne aber macht das Vorhandensein eines Vorhangs recht unwahrscheinlich. Wie wir sahen, reichte der Schauplatz weit ins Schiff hinein und auch rechts und links über die Breite des Altarraums hinaus. Man hätte also unten im Schiff hohe und starke Pfähle errichten und zwischen ihnen einen 12 Meter breiten Vorhang anbringen müssen; die Bewältigung der technischen Schwierigkeiten dieses Baus hätte doch den Übelstand nicht beseitigt, daß an der rechten und der linken Seite die Bühne ungedeckt blieb. Dagegen wäre es technisch wohl angegangen, auf die Verhüllung der Vorderbühne zu verzichten und nur die Hinter- bühne beim Szenenwechsel zu verdecken: durch einen Vorhang, der sich durch die Öffnung der Altarnische breitete. Von vorn- herein würde dadurch die Anbringung von Dekorationen in einem auch nur annähernd modernen Sinn auf die hintere Abteilung der Bühne beschränkt geblieben sein.

Es hat überhaupt schwerlich ein solcher Vorhang existiert : das sehen wir, wenn wir nun auch Hans Sachsens Dramen heranziehen. Den Beweis liefern die nicht seltenen Vorschriften, die sich auf das Abtragen der Toten beziehen. Hätte das Theater einen Vorhang zur Verfügung gehabt, so hätten die Schauspieler, die sich in ihrer Rolle am Schluß eines Aktes hatten umbringen lassen, in der Zwischen- pause hinter dem deckenden Vorhang die Bühne verlassen können. So aber geht es nicht zu. Im HS. heißt es nach v. 1106, nachdem Crimhilt ihre Klagerede an Sewfrids Leiche gehalten hat : Sie tragen den dotten ab, die kiingin get trawrig hinach; für diese Fort- schaffung ist außer dem Herold auch noch ein sonst gänzlich un- beschäftigter jeger eingeführt, der schon vor v. 1074 mit aufgetre- ten ist. Immerhin gliedert sich hier dieses Forttragen der Leiche mit einer gewissen Feierlichkeit der Handlung ein; ferner hätte ein Fallenlassen des Vorhangs vor dem Epilog vielleicht einen zu starken Einschnitt herbeigeführt. Aber in andern Dramen der gleichen Zeit wird es ganz deutlich. So im Hugschapler 1556, wo es (KG. 13, S. 17) am Schluß des zweiten Aktes heißt: Man tregt den todten ab (allerdings ist vorher im Dialog darauf hingewiesen); ferner bei einem Schauplatzwechsel im ersten Akt (S. 7): Hugschapler kämpft mit dem Ritter und seinen Knechten, schlecht den ritter nider, die knecht fliehen, er spricht noch einen Monolog und get allein ab (nach Frißland). Die knecht klimmen, tragen den ritter ab. König Hiigwan geht ein wir befinden uns nicht mehr im Hennegau, sondern in Friesland. Hätte der Dichter dazwischen den Vorhang fallen lassen können, würde er gewiß die Rückkehr der Knechte

Abtragen der Toten. - 59

nicht eingeführt haben. Genau die gleiche Situation wiederholt sich im dritten Akt (S. 21). Vgl. z. B. ferner Arethaphila 1556 (KG. 13, S. 160), wo am Schluß des dritten Aktes die Trabanten nur kommen, um ohne weitere Rede den erschlagenen Tyrannen ab- zutragen; Cyrus 1557 (KG. 13, S. 326) am Schluß des sechsten Ak- tes; Pontus 1558 (KG. 13, S. 411) am Schluß des fünften usw. Im Alexander Magnus 1558 (KG. 13, S. 488) besorgen das Abtragen des toten Nectanabus zwei Trabanten, die sonst die Bühne überhaupt nicht betreten : gewiß hätte der Dichter das so schon bedenklich große Personal dieses Dramas nicht noch um zwei Statisten vermehrt, wenn er den Vorhang zur Verfügung gehabt hätte. Gegenüber der überwältigenden Majorität von Anordnungen solcher Art kommt es gewiß nicht in Betracht, wenn einmal die Angabe fehlt: in den Vier Liebhabenden 1556 (KG. 13, S. 205) bringt Gabriotto den bösen Schalksnarren am Schluß des sechsten Aktes um, die szenische An- weisung aber sagt nur: Er geht eilendt ab; offenbar handelt es sich nur um Vergeßlichkeit: gleich im nächsten Akt (S. 207) stirbt Gabriotto; sein Knecht Anthoni, der allein mit ihm auf der Szene ist, ruft nach einigen Worten der Klage : Helfft mir mein ritter tragen ab, Das man auff herlichst ihn begrab, und dann heißt es in der szenischen Bemerkung: Man tregt den todten ritter ab, das heißt doch: auf Anthonis Ruf ist von hinten jemand herbeigekommen, der ihm nun hilft, den Leichnam wegzubringen. All das wäre nicht nötig gewesen, wenn ein Vorhang vorhanden gewesen wäre.

Ein Vorhang war nicht vorhanden oder allenfalls nur ein Vor- hang, der den hinteren Teil der Bühne zudecken konnte. Die Kon- sequenz für die Dekorationsfrage ist die: es sind keine Dekorationen gewechselt worden oder doch nur auf der Hinterbühne, wo der Aus- tausch entweder unter dem Schutz des nicht ganz unmöglichen Altarraumsvorhangs oder von hinten aus erfolgte, ohne daß die dabei tätigen Arbeiter dem Publikum sichtbar wurden : durch einen Wechsel des hinten die Bühne abschließenden Vorhangs, der Deko- rationscharakter gehabt haben könnte, oder durch ein Hineinschieben von stehenden Dekorationsstücken auf den hintersten Teil der Bühne, soweit das durch den Mittelspalt des Abschlußvorhangs oder allen- falls auch durch die Altarraumtiu' sich vornehmen ließ. Denn daß der spielleitende Dichter seinem Publikum nicht zumutete, sich fort- w^ährend den Anblick nicht an der Handlung beteiligter Personen gefallen zu lassen, die etwa Bäume und Felsen herausstellten und nach wenigen Versen wieder forträumten, zeigt die bei der eben- falls lokal bedingten Fortschaffung der Toten geübte Kunst, die Illu- sion zu wahren oder doch nicht gar zu gröblich zu stören; ein entschiedener Fortschritt übrigens gegenüber der primitiveren Art der vierziger Jahre: in der Handschrift der Sechs Kämpfer heißt es noch an der Stelle, wo im späteren Druck das Abtragen der

60 Die Raumverhältnisse. Möglichkeit einer Hinterdekoration.

Leichen vorgeschrieben ist (KG. 8, S. 21 ZI. 8) : Auch schleichn alle dottn darfon.

Aber auch die Betrachtung der Bühne selber und der dort für die Anbringung von Delvorationen zur Verfügung stehenden Raum- verhältnisse führt zu einem ähnhchen Ergebnis. Die Hinter- bühne ist jedenfalls zu klein, als daß sie durch die Aufstellung irgend einer Seitendekoration im Sinne der heutigen Kuhssen noch verengert werden dürfte, höchstens für ein kleines Kuhssenstück wäre dort Platz. Zudem steht links der Stuhl, und rechts ist der Höhleneingang: die Wände können also nicht bedeckt werden. Auf der Vorderbühne sind die Wandstücke rechts und links vom Altarraum durch die Nebenaltäre in Anspruch genommen gewesen und kommen daher für die Anbringung von Dekorationen nicht in Betracht; von den freistehenden Seitenflächen des Podiums diente die rechte als Aufgang von der Sakristeitiu' her, und so wird man wohl auch die linke schwerlich für die Aufstellung einer Dekoration verwertet haben. Der einzige Platz, an dem der Raum die unge- zwungene Möglichkeit eine Dekoration anzubringen und zu wechseln geboten hätte, wäre der hintere Abschluß.

Die letzte Frage dem Raum gegenüber wäre endlich die : welches Bild bietet er dem Auge, welche Anknüpfungspunkte der Illusions- fähigkeit?

Die von uns rekonstruierte Bühne zerfällt in dieser Hinsicht offenbar in zwei grundverschiedene Teile : die hintere Abteilung, die in den Altarraum fällt, bietet dem Auge den Anblick eines ge- schlossenen Innenraums, der auf drei Seiten von Wänden umgeben, der mit Fenstern versehen ist und wenigstens einen Stuhl als Haus- rat aufweist. Ganz anders der vordere Teil des Podiums, der un- abgeschlossen in die Kirche hineinragt: er kann entweder als eine bloße Ergänzung jenes Innenraums erfaßt werden, oder aber er hat einen völlig neutralen Charakter, er regt zunächst durch nichts die Phantasie zur Ergänzung in irgend einer Hinsicht an und kann in- sofern besonders dazu verwendet werden, die Einbildungskraft des Zuschauers in verschiedener Weise zu beschäftigen. Vor allem ist er geeignet, im Gegensatz zu jenem Innenraum ein Stück der freien Natur vorzustellen, dem sich dann umgekehrt die hintere Fort- setzung als indifferenter Abschluß beizuordnen hätte.

So wird es von vornherein wahrscheinlich, daß für diejenigen Szenen, die im Saal oder Zimmer spielen sollen, unverwöhnten Zu- schauern gegenüber eine besondere Hinterdekoration kaum erforder- lich gewesen ist ; dagegen bleibt die Frage zunächst offen, in welcher Weise Hans Sachs umgekehrt dafür gesorgt hat, seine Zuschauer in die freie Natur: in den Garten, den Wald, das Gebirge oder auf die Straße zu führen. Hier würde ein Wechsel in der Ausstattung des hinteren Vorhangs jedenfalls besonders geeignet gewesen sein,

Dekorationsinaterial : Teppiche. 61

die Phantasie der Zuschauer aus dem Innenraum, den sie zunächst vor sich sahen, heraus und in die von der betreffenden Situation erforderte Landschaft zu führen.

Die Anbringung von drei oder vier Vorliängen hintereinander hätte gewiß den Nürnberger Tapezierern keine sonderhche Schwierig- keit bereitet, und der Szenenwechsel wäre auf solche Weise auch innerhalb eines Aktes beliebig oft im Nu zu vollziehen gewesen. Es fragt sich nur: in wie weit war das Theater des 16. Jahrhunderts und im besondern diese Bühne der Nürnberger Handwerker im- stande, eine dekorativ wirkende Darstellung auf einem als Vorhang benutzbaren Stoff zu geben?

p]rhalten hat sich nichts derart, aber das würde an sich noch nichts gegen die einstige Existenz solcher Dekorationen beweisen: denn abgesehen von einigen Teufelsmasken, die hier und da auf- getaucht sind'), scheinen überhaupt keine Theateraltertümer aus so früher Zeit auf uns gekommen zu sein, oder es ist bisher noch kein Stück in solchem Sinne rekognosziert worden.

Zunächst läge es vielleicht am nächsten daran zu denken, daf5 man, um als den Ort der Handlung eine Landschaft anzudeuten, Teppiche verwendet habe. Die deutsche Teppichindustrie hat bis zum 16. Jahrhundert auf einer sonderlichen Höhe nicht gestanden und ist jedenfalls von dem Glanz der französischen und namentlich der flandrischen Konkurrenz so sehr verdunkelt worden, daß man bis vor kurzem an die Möglichkeit einer Geschichte der Teppichkunst in Deutschland vor der Mitte des 16. Jahrhunderts überhaupt nicht dachte-). Immerhin sehen wir jetzt wenigstens, daß es, von den gestickten Teppichen ganz abgesehen, auch an Teppichwirkern in Deutschland nicht völlig fehlte: in Nürnberg selbst haben z. B. die Klosterfrauen von St. Katharina sich auf diesem Gebiet schon im 15. Jahrhundert ausgezeichnet^). Doch bleibt es bei vereinzelten Leistungen: noch 1495 lassen sich die Holzschuher einen Grab- teppich in Brüssel herstellen^). Im 16. Jahrhundert sind Teppich- weber aus Flandern, auch ein Mailänder Meister in Nürnberg an- sässig gewesen. Zu der Höhe der ausländischen Leistungen aber stieg die deutsche Industrie zum ersten Male gerade zu der Zeit empor, von der wir hier reden : um die Mitte des 16. Jahrhunderts,

1) Vgl. den Fach-Katalog der Internationalen Ansstellung für Musik und Theater- wesen. Wien 1892. Abteilung für deutsches Drama und Theater. S. 13.

2) Den ersten Versuch, eine solche Geschichte zu skizzieren, bildet das Werk von E. Müntz, Histoire de la tapisserie en Italie, Allemagne etc. Paris 1878 ff. Notizen über Teppiche des 14. und 15. Jahrh. bei Alwin Schultz. S. 91 f. Vortreffliches Material mit fachwissenschaftlicher Erklärung bietet jetzt der ausgezeichnete Katalog der Gewebesamra- lung des Germanischen Museums m Nürnberg. 1. Nürnberg 1896.

r?.! 3) Vgl. über Teppichwirkerinnen in Basel: Moritz Heyne, Das deutsche Wohnungs- wesen, Leipzig 1899. S. 248.

4) Nr. 679 des Germanischen Museums. Vgl. den o. a. Katalog, bes. auch S. 115 f.

62 Teppichwirkerei. Dekorationsmalerei.

und die erste Blütestätte liegt Nürnberg gar nicht so fern: es ist die Wandteppichfabrik des Wittelsbachischen Fürstenhauses, die vielleicht in Lauingen gestanden hat'). Eine ihrer herrlichsten Lei- stungen wird zu Nürnberg im Germanischen Museum bewahrt: der große Teppich, der die Geschichte der Susanna darstellt-). Ein um- fangreiches Stück dieses Teppichs zeigt uns Susannens Garten ohne Figuren und würde mit seiner unvergleichlichen Leuchtkraft w^ohl geeignet gewesen sein, als Hintervorhang auf Hans Sachsens Bühne ausgespannt, in den Zuschauern die Illusion zu erwecken, daß sie sich nun in einem prächtigen Garten befänden. Indessen erscheint es fast ausgeschlossen, daß Hans Sachs in solchem Sinne dekora- tiv geeignete Teppiche zu seiner Verfügung gehabt hat; denn so weit wir urteilen können, hat diese Teppichindustrie, zumal im 16. Jahrhundert, wo die Wandteppiche immer mehr und mehr an die Stelle der Wandmalereien traten, auf der einen Seite nur Teppiche mit menschlichen Gestalten, mit Szenen aus der heiligen Geschichte, aus der Sage, der Dichtung und dem Alltagsleben hergestellt, auf denen nur als Hintergrund Landschaftsdarstellungen sich fanden, auf der andern Seite rein ornamentale Stücke geliefert : mit Mustern, in denen wohl Pflanzen aller Art verwendet wurden, die aber irgend welche theatralische Illusionskraft nicht besessen hätten ; eine rein naturalistische Garten- oder Walddarstellung auf einem Teppich dieser Zeit scheint nicht bekannt zu sein. Es kommt dazu, daß die Kostbarkeit dieses Materials seine Verwendung auf der Meister- singerbühne wohl so ziemlich ausschloß, zumal man mit Rücksicht auf die Größenverhältnisse des Altarraums rücksichtslos hätte ab- schneiden müssen. Und daß unter den Handwerkern der Meister- singer sich Teppichwirker befunden hätten, die imstande gewesen wären, direkt für die Aufführung das erforderliche Material herzu- stellen, ist, wenn wir den oben erörterten damaligen Zustand der ganzen Kunst in Deutschland bedenken, höchst unwahrscheinlich*). Es bliebe die zweite Möglichkeit: daß man imstande gewesen wäre, auf Leinwand perspektivische Dekorationsmalerei im heutigen Sinne auszuführen. Von der Geschichte solcher Deko- rationsmalkunst ist noch viel weniger bekannt als von der Ge- schichte der Teppichwebekunst, nämlich eigentlich gar nichts, und wenn wir auf eigene Faust etwas darüber ermitteln wollen, so müssen wir uns schon an die Personalunion halten, die zwischen

1) Vgl. Manfred Mayer, Geschichte der Wandteppichfabriken des Wittelsbachischen Fürstenhauses. München 1892.

2) Ein Stück davon ist abgebildet bei J. Lessing, Wandteppiche und Decken des Mittelalters in Deutschland. 1. Lieferung. 1902.

3) Bei Th. Hampe, Nürnberger Ratserlässe über Kunst und Künstler (Wien und Leii)zig 1904) sind denn auch vor dem Ausgang des 17. Jahrh. einheimische Teppichwirker nicht zu finden.

Dekorationen für Festlichkeiten. ' 63

solchen hypothetischen Dekorationsmalern und den Künstlern be- standen haben mag, die für öffentliche Feierlichkeiten, z.umal für Fürsteneinzüge in den großen Städten die . dekorativen Schaustücke zuzurüsten hatten'). Das Stammland der Dekorationskunst für festliche Einzüge ist Italien. Hier hatte man im 15. Jahrhundert in den großen Städten, wenn man den Papst oder einen weltlichen Fürsten bewillkommnen wollte, Triumphbogen errichtet, an denen die Hauptarbeit wohl noch der Zimmermann getan hatte, während sich die Arbeit des Malers auf den Ausputz des Bogens in bunten Farben, zumal mit gemalten grimen und mit Blumen verzierten Girlanden und mit gemalten lebensgroßen Figuren beschränkte. Im 16. Jahrhundert änderte sich der Geschmack; dem Maler fiel nun die Aufgabe zu, durch perspektivische Dekorationsmalerei dem rohen Bau erst das Ansehen eines komplizierten architektoni- schen Kunstwerks zu geben ; im Jahre 1565 schildert Borghini das Ideal eines solchen Triumphbogens folgendermaßen: „Das einzig Wahre ist Holz und gemalte Leinwand in Gestalt von Bogen, Fa- ^aden und andern Baulichkeiten; das Grün und die Teppiche mögen allenfalls passen bei scherzhaften Anlässen oder auch an Kirchenfesten"'). In Deutschland und im besondern auch in Nürn- berg war man zu Hans Sachsens Zeit bis zu diesem reinen Ideal architektonischer Malerei noch nicht vorgedrungen, sondern hielt noch an dem Grün und den Girlanden fest; anderseits aber, da man z. B. beim Empfange Karls V. direkt mit den italienischen Städten konkurrieren mußte ■^j, durfte man jene neumodische Art auch nicht außer acht lassen, und so entstand ein Kompromiß zwischen beiden Kunstrichtungen. Der beste Zeuge für diese Ma- nier der Dekorationsmalerei in Nürnberg ist Hans Sachs selbst, der uns in einem Gedicht vom 10. März 1541 den feierlichen Einzug, den Karl V. am 16. Februar des gleichen Jahres in Nürnberg ge- halten hatte, beschreibt und unter anderem Folgendes berichtet (KG. 2, S. 381 f.):

Zehen gar köstlich trhimph-bogen

Wurden über die gassen zogen . . .

Sehr lustig zu sehen von weijten.

Da ward auß grünem gwechs her glantzen

1) In Deutschland vermag ich eine solche Personalunion allerdings nicht nachzu- weisen, wohl aber in Frankreich, wo in Romans in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts der Maler Thevenot sowohl für die Ausstattung der Mysterien wie für die Errichtung von Triumphbogen und dergleichen tätig war: vgl. Le mystere des trois doms, ed. Giraud et Chevalier. Lyon 1887 p. XLVIff.

2) Lettere pittoriche I, 56; vgl. Burckhardt, Geschichte der Renaissance in Italien. 3. Aufl. 1891. S. 353.

8) Der Nürnberger Christoph Scheurl hat z. B. eine Schrift über einen derartigen Empfang des Kaisers in Bologna verfaßt.

64 Dekorationen für Festlichkeiten.

Granat-öpffel und pomerantzen,

Melaiin, ciicumeri vnd feygen,

Kiirbiß vnd ander frücht, so eygen

Vnnd so löblich abconterfect ... und dann weiterhin von einer andern Ehrenpforte:

Zierlich bekleijdet hin und her,

Als ob sie merbelstaijnen wer,

Mit welsch columnen vnd capteln

Mit schön gesimsen und hol-keln^). Daß es sich dabei um Dekorationsmalerei auf Leinwand handelte, zeigt auch die Schilderung, die Hans Sachs von einem bei Gelegen- heit eines Nürnberger Siegesfestes vom Jahre 1535 errichteten künst- lichen Schlosses entwirft (KG. 2, S. 396):

Da sah ich auffgerichtet ston

Artlich gemacht von tuch und blechern

Ein hohes schloß mit viel schießlöchern . . .

Nach dem das fewerwerck verschoß,

Zünd man an das gemachte schloß,

Das brau, als wer es lawter stro. Aus alledem ergibt sich, daß zur Zeit der Meistersingeraufführungen auch in Nürnberg eine Dekorationsmalkunst bestanden hat, die wohl der Aufgabe gewachsen gewesen wäre, jene Hintervorhänge der Marthakirchenbühne mit Bäumen, Felsen und dergleichen zu bemalen. Es fragt sich nur weiter, ob wir irgend welchen Anhalt dafür haben, daß diese im Dienst der öffentlichen Feste ausgebil- dete Kunst nun tatsächlich auch für Theaterzwecke im modernen Sinne in Anspruch genommen wurde.

Unsere Untersuchung der Dramenillustrationen im zweiten Teil dieses Buches hat in bezug auf den hier zu behandelnden Punkt ein völlig negatives Ergebnis: einerseits werden wir vielmehr auf die Ver- wendung des unbemalten Hintervorhangs geführt, anderseits zeigt die Darstellung der Hölle auf den Schweizer Bildern durchaus die mittel- alterliche Art, in der es sich noch um Plastik, nicht um perspek- tivische Malerei, nicht um Dekorationen, sondern eigentlich um Requi- siten handelt. Die zahlreichen Notizen, die uns über die Inszenierung der Luzerner Aufführungen des sechzehnten Jahrhunderts erhalten sind, geben gerade über die technische Herstellung der Bühnenausstat- tung nichts an ; kein Zweifel aber, daß es sich auch hier noch um plastische Häuser der mittelalterlichen Art gehandelt hat, bei denen der Zimmermann die Hauptarbeit zu leisten hatte; gehört doch auch

1) DatJ diese Manier andi sonst nnd auch noch in der Zeit der Aufführung des HS. hei-rscliend war, zeigt z. B. das Flugblatt, das über den Einzug Ferdinands I. in Prag 1558 berit^htet. Vgl. auch Hans Sachsens Scliilderung des Einzugs Ferdinands in Nürnberg vom 7. Febr. 1540 (KG. 16, S. 427).

Theaterdekorationen in Italien und Deutscliland. 65

noch im Jahre 1597 dem Ausschuß der Ratsbaumeister, aber kein Maler ani). So ist also von solcher Bühneneinrichtung her für die Nürnberger Dekorationsfrage nichts zu lernen. Im Ausland, in Ita- lien war man um diese Zeit allerdings längst bei der perspektivi- schen Dekorationsmalerei angelangt, und berühmte Meister wie Peruzzi und Serlio hatten sich diesem Kunstzweige gewidmet, ja Raphael selbst hatte es gelegentlich nicht verschmäht, sich auch auf diesem Gebiete zu betätigen-). Alle diese Dekorationen aber sind von der Art, daß sie als Vorbild für die Meistersingerbühne unmöglich hätten dienen können; denn für Szenenwechsel sind sie nicht berechnet, eine Dekoration muß vielmehr für das ganze Stück ausreichen, ist mehr Schmuck als Phantasieunterstützung und ist im Sinne der antiken Scheidung von Tragödie, Komödie und Satyrspiel gehalten. Die Kunst, Verwandlungen vorzunehmen, kom.mt dann erst spät in der zweiten Hälfte des, 16. Jahrhunderts in Italien auf. Aber angenommen, selbst schon zu Hans Sachsens Zeit hätte man dort über sie verfügt, so konnte doch von diesen neuesten Errungenschaften der italienischen Bühne schwerlich damals bereits etwas bis nach Nürnberg gedrungen sein, da höchstens ein paar ganz untergeordnete italienische Komödianten sich so weit nord- wärts verirrten und da auch die italienische Theaterkunst am Mlmchener Hofe ihre Blüte noch nicht erlebt hatte.

Von allen diesen Seiten her kommen wir also an die Möglich- keit einer Verwendung jener Festdekorationsmalerei für theatralische Zwecke noch nicht heran. Aber nachweisen läßt sie sich doch, und dazu verhilft uns ein bisher von derLiteraturgeschichte noch wenig •^) beachtetes deutsches Drama eines sächsischen Schulmeisters. Im Jahre 1546 erschien die Historia Jobs auffs kürtzt Spiels weise in Reim verfasset, den betrübten und angefochtenen Hertzen gar trostlich, Sunsten jeden Christen fast nützlich zu Lesen. Durch Jo- han Narhamer, Curiensem. Curiensem, das heißt: aus Hof. Von Geburt ist es also ein Landsmann Hans Sachsens, der dieses Drama verfaßt hat; sein Wirkungskreis aber ist die Stadt Pulsnitz, nordöstlich von Dresden, und zur Aufführung durch die Pulsnitzer Bürgerschaft ist, wie der Verfasser in der Vorrede berichtet, das Schauspiel bestimmt. Es ist reich an szenischen Bemerkungen, die unmittelbar auf die theatralische Vorführung abzielen, und unter manchen andern, die uns noch weiterhin nützen sollen, findet sich eine Angabe, die sich auf die Wiederaufrichtung von Hiobs Haus bezieht, das wieder hergestellt wird, nachdem der Held von Gott wieder zu Gnaden angenommen ist. Da heißt es (bl. E 6a) : Nach

1) Der Maler wird offenbar nur für Kostüme und Masken herangezogen: vgl. R. Brandstetter, Die Regenz bei den Luzerner Osterspielen. Luzern 1886. S. 11 u. 36.

2) Vgl. Flechsig, Die Dekoration der modernen Bühne. Diss. Leipzig 1897.

3) Doch s. jetzt Creizenach, Geschichte des neueren Dramas. III (Halle 1903) S. 378. Herrmann, Theater. 5

66 Die Phantasie des Publikums. Holzschnitte.

diesem schickt Gott die Engel zu Job, das sie ihn heilen, sein haus welches von Leinwadt kann zugericht werden das maus mit einer Schnur in die hohe ziehen kan wider auffrichten. Steht das Nar- hamersche Schauspiel nun auch, wie das sächsische Kunstdrama Greffscher Schule überhaupt'), in technischer Hinsicht noch in der Mitte zwischen der mittelalterlichen und der modernen Art, so kann es sich bei diesem Leinwandhaus, das man an einer Schnur in die Höhe ziehen kann, doch offenbar nur um eine gemalte De- koration im modernen Sinne gehandelt haben.

Das Ergebnis dieser eingehenden Betrachtung ist also dieses: möglich war die Anbringung einer Hinterdekoration, welche Straße, Garten oder Wald darstellte, in technischer Hinsicht allerdings. Es fragt sich nur: war ihr Vorhandensein so notwendig, daß die Regisseure der Meistersingerbühne die immerhin vorhandenen Schwierigkeiten unter allen Umständen überwinden mußten? Ver- langte die Phantasie des Publikums, das im Schiff der Martha- kirche saß, einen solchen dekorativen Hintergrund oder war es geneigt, ihn sich lediglich mit Hilfe der Einbildungskraft selbst her- zustellen? Um diese Frage zu beantworten, werfen wir zunächst einen Blick auf die bildende Kunst der Zeit. Sind zumal die Holz- schnitt-Illustrationen, die der gemeine Mann damals in die Hände bekam, durchaus mit landschaftlichem Hintergrund ausgestattet oder gibt es Bilder, die sich lediglich mit der Vorführung der Personen begnügen? Die Analogie für das Theaterbild leuchtet ein. Da zeigt sich denn, daß zwar in den meisten Leistungen der Kunst die alte Art, die auf die Darstellung des Milieus geringen Wert legte, über- wunden ist : nicht der kleinste Fortschritt der deutschen Renais- sancekunst besteht gerade in der Fähigkeit, den Menschen mit seiner Umgebung vorzuführen. Aber ganz ist doch, trotz Dürer, die alte Art noch nicht ausgestorben, und zumal auch bei den Nürn- berger Kleinmeistern, bei Peutz und H. S. Beham, finden wir Holz- schnitte, die nur die Menschen zeigen. Vor allem aber sind hier die Illustrationen der volkstümlichen Erzählungen zu nennen, die gerade um die Zeit, von der wir reden, wieder und wieder aufge- legt wurden. Freilich findet sich wohl kein einziges Buch darunter, dessen sämtliche Holzschnitte auf die Darstellung des Milieus Ver- zicht leisten. Aber mitten zwischen den Bildern, die im Hintergrund die Wände des Zimmers oder die Bäume und Berge der Landschaft zeigen, treffen wir doch nicht selten Holzschnitte, die sich mit der bloßen Vorführung der handelnden Personen begnügen, ganz ab- gesehen davon, daß alte Holzstöcke des 15. Jahrhunderts von den modernen Verlegern hier und da immer noch wieder mit verwendet wurden. Am häufigsten bleibt der Hintergrund in den Drucken

1) Vgl. H. Michel, Hfiniicli Knaiist, Berlin 1903. S. 30. 55. «2.

Volkslieder. Hans Sachsens Erzählungen. C7

der Romane unausgestaltet, die bei Weygand Hau in Frankfurt a. M. damals hervortraten: im Wigaleus und im Florio, im Tristan von 1556 und im Pontus von 1557. Der Hintergrund wird besonders gern dann nicht charakterisiert, wenn das Milieu durch ein Requisit: durch Tisch oder Stuhl schon genügend gekennzeichnet erscheint, und mit bemerkenswerter Vorliebe werden kämpfende Ritter oder kämpfende Heere in die leere Luft gestellt, weil hier ganz natürlich jede Phantasie das Schlachtfeld ergänzte.

Zeigt sich also hier bereits die Anspruchslosigkeit des Publi- kums, die Bereitwilligkeit, mit der eigenen Einbildung die nicht vo'*- handenen Berge und Bäume herbeizuzaubern, so führt uns die Be- trachtung des Volksliedes zu einem ganz ähnlichen Ergebnis. In den Liedern, die der gemeine Mann damals singt, spielen Ortsanga- ben überhaupt keine Rolle; wird wirklich einmal eine auf das Lokal bezügliche Andeutung gemacht, so ist doch jedenfalls von irgend welcher Ausmalung des Ortes der Handlung keine Rede; etwas anderes ist es natürlich mit den Naturschilderungen, in denen die Landschaft um ihrer selbst willen charakterisiert wird. Besonders deutlich wird jener Verzicht auf genaue Lokalschilderungen in den historischen Volksliedern, wo zwar selbst die Kleidung der han- delnden Personen und die zur Aktion gehörigen Gegenstände ge- legentlich genau beschrieben werden, wo aber die malerische Vor- führung des Ortes, an dem die Handlung des Liedes vor sich geht, der Einbildungskraft des Singenden oder des Zuhörenden über- lassen bleibt.

Wenn sich somit die Phantasie des Hans Sachsischen Publikums wohl geneigt erweist, die dekorativen Leistungen selbst zu über- nehmen, so zeigt sich, daß Hans Sachsens eigene Einbildungskraft im ganzen durchaus denselben Stand repräsentiert, was die Neigung zu eingehender landschaftlicher Schilderung anlangt. Dort wo Hans Sachs als Erzähler, nicht als Dramatiker vor uns tritt, fällt es ihm nicht ein, seinen Quellen gegenüber in bezug auf die Vorführung des Lokals irgendwie belangreiche Änderungen oder Ausmalungen vorzunehmen. Eine reiche Gelegenheit zu landschaftlicher Schil- derung bieten ihm allerdings die bei ihm so besonders beliebten Spaziergangsgedichte; aber einmal ist es hier die ererbte Tradition, die immer wieder zu peinhch genauer Vorführung der landschaft- lichen Situation zwingt, anderseits steckt doch auch in diesen Spa- ziergangsschilderungen unendlich viel Ererbtes, das sich wie eine immer wieder für alle möglichen Zwecke benutzte Theaterdekoration wiederholt; endhch aber haben diese Hans Sachsischen Naturein- gänge eigentlich nicht jenen illustrierenden Hintergrundcharakter, um den es sich hier handelt, sondern doch einen mehr lyrischen Selbstzweck. Mit dem Blick für die tausendfältige Eigenart des Menschenlebens ist Hans Sachsens Naturbeobachtung jedenfalls nicht

63 Dekorationsforderungen der szenischen Bemerkungen.

von fern zu vergleichen, oder richtiger gesagt: es interessiert ihn jedenfalls nicht, das geschaute Bild mit so peinlicher Treue fest- zuhalten wie jedes Detail aus dem Leben seiner Mitmenschen, und er begnügt sich hier mit dem unsicheren und verschwimmenden Hintergrund, den die Phantasie ohne weiteres bereitwillig lieferte. Gewöhnlich stehen seine Menschen so wie die Personen auf jenen zeitgenössischen Holzstöcken in der freien Luft.

Und nun können wir uns der Betrachtung der Dramen selbst zuwenden. Wie arbeitet der Dichter in ihnen? Wieder müssen wir von vorneherein eine strenge Scheidung zwischen dem Text und den szenischen Bemerkungen machen, indem wir von der schon im ersten Hauptteil unserer Untersuchung begrün- deten Voraussetzung ausgehen, daß alles was in Hans Sachsens Bühnenanweisungen steht, aber zunächst auch nur das, einen eigent- lich theatralischen Sinn hat.

Bei der Beobachtung dieser szenischen Bemerkungen zeigt sich nun, daß sie niemals eine Anweisung für die Gesamtdekora- tion, für die Gestaltung also des Hintervorhangs geben, sondern daß alle Angaben lokaler Art (die überhaupt verhältnismäßig sehr selten vorkommen) sich lediglich auf einzelne Stücke der Bühne beziehen. Wiederholt tritt uns im HS. die Höhle entgegen, in der zuerst der Drache und dann der Riese wohnt; das Vorhandensein einer solchen Höhle hatten wir auch in den szenischen Bemerkun- gen anderer Stücke festgestellt und in den Uniersuchungen unseres ersten Hauptteiles die Altarraumtür als den Ort dieser Höhle er- mittelt, die außerdem auch die Rolle der in szenischen Bemerkun- gen anderer Stücke erwähnten Örthchkeiten, wie Ofen, Löwengrube, Tempelloch, zu übernehmen hatte ; vielleicht auch die des Zeltes, in dasjudith^geht (1551 KG. 6, S. 76) ?0

1) Dagegen ist das im Hugschapler 1556 (KG. 13, S. 21) geschilderte Zelt des Königs von Friesland sicherlich nicht durch die Sakristeitür und dekorativ überhaupt nicht ge- kennzeichnet worden : in der szenischen Bemerkung ist es nicht erwähnt, sondern wird nur im Text durch den Helden ausführlich beschrieben:

Dort steht ein zeit, an dem steht iveyer

Ein weiser low in rotem scliild . . . Gerade hier läßt sich vielmehr beobachten, wie Hans Sachs die beiden Teile seines Bühnenraums: den hinteren in der Altarnische und den vorderen, der frei ins Schiff liin- einragt, in verschiedenem Sinne benutzt (vgl. u, S. 77). Der König ist eingegangen, steht also hinten und fragt nun :

Wer ist jener, der vor dem zeit

Vnib geht und sich gegn uns nit meldt? Hugschapler geht hin und wieder; also vorn, dicht am Ende des Podiums und spricht jene Worte : Dort steht ein Zelt ... Er will den König ermorden imd dritt hinzu d. h. in den hinteren Bülmenraum, der also das Zelt darstellt, und dort erfolgt der Todschlag. Ebenso i.st es in der Rosimunda 1555 (KG. 12, S. 418 f.), wo der hintere Teil der Bühne mit dem Chorstuhl als sal von dem vorderen und zumal seinem rechten, zur Sakristeitür führenden Vorsprung geschieden wird: hier, vor dem sal, unterhalten sich die Trabanten über den Lärm, den sie im Saal hören, und laufen dann ein.

Die Tür. 69

In allen diesen Fällen bleibt nur die Frage offen, ob etwa vor die Altarraumtür ein besonderes Dekorationsstück gesetzt worden wäre, welches Höhleneingang, Ofen, Grubenloch usw. dem Blick des Zuschauers direkt verdeutlichte.

Einen besonderen Anhalt zur Beantwortung dieser Frage haben wir zunächst nicht ; etwas anders dagegen steht es mit einem De- korationsstück, das häufiger als die bisher genannten Bühnenorte in den szenischen Bemerkungen erscheint, nämlich mit der thür.

Fraghch bleibt es, ob man zu den Stellen, an denen der Dichter eine Tür verlangt, auch diejenigen rechnen soll, an denen in der szenischen Bemerkung, so wie im HS. nach V. 137, nur vom „Klopfen" oder „Anklopfen" die Rede ist ; der auftretende Schauspieler brauchte hier ja hinter der Szene nur gegen das Podium zu pochen ; ebenso wird ein gelegentlich in der Bühnenanweisung auftauchendes hinter der thür im allgemeinen nichts weiter bedeuten, als daß der betreffende Vorgang nicht auf der Bühne, sondern hinter dem hinteren Vorhang sich vollzieht. Tatsächlich ist aber offenbar unter thür auch sonst in den älteren Dramen nichts anderes als der Spalt des Vorhanges verstanden, durch den die Personen von hinten eingehen. So ist es also z. B. in Des Lewiten Kebsweib 1555 KG. 10, S. 219 : Der Levitt klopfft an . . . Der vatter thut auff, der Levitt geht ein . . . und dann S. 224: Man klopffet ungestüm an . . . Die Gibeanitter schreyen außerhalb der thür . . . und endlich S. 225: Der Levitt stößt sein kebsweib für die thür. Hier kommt man offen- bar mit dem hinteren Vorhangsspalt völlig aus, an das Vorhanden- sein einer wirklichen Tür braucht nicht gedacht zu werden'). Eine wichtige Neuerung aber bringt dann das Jahr 1556, in dem Hans Sachs am 11. Januar ein Drama vollendet, wo eine wirkliche Tür und zwar als Requisit nicht entbehrt werden kann. Das ist das Drama Simson. Hier wird die Szene auf die Bühne gebracht, in der der Held, als ihm die Philister in der Stadt Gaza das Stadt- tor verschlossen haben, um ihn zu fangen, mit seiner gewaltigen Kraft dieses Tor aus den Angeln hebt und so entkommt. In der szenischen Bemerkung schreibt der Dichter KG. 10, S. 204 ausdrück- lich vor: Simson nimbt das thor vnnd geht ab Wo hat

sich dieses Tor-) nun befunden? An die Mitte des Hintervorhanges ist hier nicht zu denken, denn dort hätte, da die betreffende Szene erst im IV. Akt liegt, eine praktikable, von den andern Personen immer schon zum „Eingehen" benutzte Tür gestanden haben müssen, durch deren Fortnahme dann für die noch folgenden anderthalb

1) Ein paar Nachzügler dieses Betriebes: Vier Liebhabende 1556 KG. 13, S. 193; Johannes imd Cliristus 1557 KG. 11, S. 194; Wilhelm von Orlentz 1559 KG. 16, S. 86 (peim thor mir in der Handschrift); Sedras 1560 KG. 16, S. 174 (im Druck fehlt das vnter der thür hier).

2) In der Handschrift steht sogar stator.

7 0 Die Tür als Requisit.

Akte hinten eine große Lücke entstanden wäre, durch die man un- statthafterweise vom Pubhkum aus vollen Einblick in den Bühnen- hinterraum gewonnen hätte. Offenbar ist diese Thür als Requisit an einer ganz andern Stelle angebracht. Es heißt vorher: Simson kombt, d. h. er betritt die Bühne vorn von der Sakristeitür und spricht seinen Monolog wohl auf jenem rechten Vorsprung der Bühne, der sich zwischen der Treppe und der Kanzel befand. Dieser Teil der Bühne wird von dem übrigen Raum durch eine Tür ge- trennt worden sein, welche man unter der Tür der Kanzel an der auf dem oben S. 56 gegebenen Plan mit T bezeichneten Stelle angebracht, während der vorangegangenen Szenen an die Wand gedreht und nun vor Simsons Auftreten in die bezeichnete Richtung gebracht hatte, so daß sie den Weg versperrte. Simson hebt sie auf die Schulter und geht mit ihr hinten ab. Was wir schon öfters be- obachtet hatten und noch weiterhin beobachten werden, tritt nun auch hier ein : das was zunächst nur ein ad hoc benutztes Requisit gewesen war, wird jetzt, wenigstens für die nächste Zeit, ein dauernd benutztes Mittel, die Bühnensituation mannigfaltiger zu gestalten. Sehr bezeichnend ist besonders das Drama Der verlorene Sohn aus dem gleichen Jahre 1556. Hier heißt es in der szenischen An- weisung (KG. 11, S. 225): Hilla stellt sich zu der thür

vnnd spricht.

Ich steh auf der lauß, warrts jiinckherrn.

Mich dunkty er geh dort her von fern. An dem hinteren Türspalt kann Hilla nicht stehen, denn da es in der nächsten szenischen Bemerkung heißt : Der verlorn söhn kombt .... und er somit aus der Sakristeitür tritt, würde sie ihn von dort hinten nicht sehen können. Offenbar steht sie vielmehr an dieser neuen Tür, in der Nähe der Kanzel, von der aus sie jeden, der aus der Sakristeitür tritt, natürlich sofort wahrnehmen muß. Anders ist es dagegen im letzten Akt (S.237), wo der ältere Sohn vom Felde zurückkehrt. Auch hier kunibt der Sohn: er tritt von vorn auf die Bühne und hat dann zunächst eine kleine Szene mit dem Knecht, der ihm über die im Hause begangene Feierlichkeit Bescheid sagt: der Vater begeht die Heimkehr seines verlorenen Jüngsten. Wenn nun der Vater dem älteren Sohne entgegen unter die Haustür tritt, so kann natürhch hier wieder nur an den Spalt des hinteren Vorhangs gedacht werden, und höchst bezeichnend scheint es mir, daß die szenische Bemerkung diesen Spalt hier durch den terminus haußthür von jener praktikablen Tür scheidet, die an der vorher angeführten Stelle eben nur als thür bezeichnet ist. Ebenso wird auch in der Aretaphila und in Des Marschalls Sohn, die beide wiederum aus dem Jahre 1556 stammen, die Termi- nologie der Bühnenanweisungen erst dadurch verständlich, daß wir unter thür nicht den Vorhangsspalt, sondern die praktikable

Die Tür als Requisit. 71

Tür an der Kanzel verstehen'). Am meisten aber (gewinnen wir durch die neue Hypothese für das Verständnis der Bühnen- situation in dem wiederum aus dem Jahre 1556 stammenden Drama Juhanus im Bad, das ohne solche Erklärung mit seinen Bühnen- anweisungen uns unlösbare Schwierigkeiten machen würde. Zunächst wird auf solche Weise die Situation im zweiten Akt erklärt, wo Julianus anklopft (KG. 13, S. 118 ff.) und mit dem Tür hütenden Knecht ein Gespräch hat, während doch gleichzeitig auf der Bühne der Herzog Gottfried mit seinen Knechten steht und sich von demTürhüter über den draußen klopfenden Bittsteller unterrichten läßt, der da so lange harren muß, bis ihm vom Herzog der Eintritt erlaubt wird. Wäre die Tür hier der hintere Vorhangsspalt, so könnte die Szene des Kaisers mit dem Knecht nicht vor den Augen des Publikums vor sich gehen, sondern man müßte sich mit dem Hören der Reden begnügen, die dann hinter dem Vorhang gewechselt würden. Nun aber sehen wir ganz deutlich, wie Hans Sachs den Hergang inszeniert haben wird: die Unterhaltung mit dem Knecht und das Warten des Kaisers gehen auf jenem rechten Vordervorsprung der Bühne vor sich, welcher wieder durch die bewegliche Tür von ihrem Hauptteil getrennt ist-). Genau die gleiche Situation wiederholt sich dann am Hofe des Engelkaisers: ganz unmöglich ist es, daß die fast vierzig Verse umfassende Unterhaltung des Torwarts mit dem nackenden Kaiser hinter dem Vorhang, also ungesehen und nur gehört, vor sich gehen sollte; tatsächlich findet sie, wie wir nun begreifen, wiederum auf jenem rechten Vorderteil des Podiums statt. Daß es in der szenischen Anweisung vorher heißt: Der nacket kai/ser kumbt, klopfft an . . . zeigt wiederum ganz deutlich, daß er von der Sakristeitür aus die Treppe heraufgeschritten und an die praktikable Tür heran getreten ist"). Noch wichtiger aber ist es, daß wir die sonst unbegreifUche Bühnensituation des vierten

1) KG. 12, S. 147: Die zwen trabanten losen an der thiier, kamen hinein

und 13, S. 75: Floria geht, thut au ff. Die trabanten kamen .... (in der Handschrift stand allerdings gent ein). Ebenso wird an die neue Tür wohl auch im Gideon 1556 KG. 10, S. 153 und in der Verfolgung Davids 1557 KG. 10. S. 275 gedacht sein.

2) Hans Sachs hat offenbar, schon ehe er durch den Simson auf die Verwendung der Tür kam, diese Stelle der Bühne benutzt, um eine kleine Szene im Nachbarraum sich abspielen zu lassen : in der wenige Monate vor dem Simson abgeschlossenen Rosimunda 1555 KG. 12, S. 418; vgl. o. S. 68 Anm.

3) Daß es in der Szene des zweiten Aktes in der Bühnenanweisung heißt: Jalianas geht ein. braucht hier natürlich nicht zu heißen, daß er von hinten auftritt: es ist hier überhaupt kein Terminus des Auftretens, da er sich schon auf der Bühne befindet, sondern heißt nur: er geht durch die Thür ein in das Schloß. Steht doch kurz vorher, als der Knecht von dem anklopfenden Kaiser, also genau von derselben Stelle zum Herzog geht: Der knecht kumbt (in der Handschrift get) zum hertzogen. Im dritten Akt steht an der genau entsprechenden Stelle (S. 126): Der nacket kayser kumbt, im vierten (S. 132) dagegen: Der kayser geht ain.

72 Die Tür als Requisit.

Aktes nun verstehen: Julians Besuch beim Einsiedler. Der ganze erste Teil der Hauptszene dieses Aktes besteht aus einem Zwie- gespräch zwischen dem Einsiedler, der in seiner Zelle ist, und dem Kaiser, den er zunächst nicht hineinlassen will. Hier haben wir ganz abgesehen von der inneren Wahrscheinlichkeit auch einen äußeren Beweis dafür, daß die Bitten des Kaisers um Einlaß nicht hinter dem Vorhang gesprochen sein können, so daß man den Flehenden vom Publikum aus nicht gesehen hätte. In den szeni- schen Bemerkungen dieses Teiles schreibt Hans Sachs nämlich aus- drücklich vor (S. 130): Der kaijser feilt auf sein knie, spricht mit auff-

gehaben henden , eine Anweisung also, die völlig sinnlos

wäre, wenn der Dichterregisseur seinen Helden hier nicht dem Publikum hätte vor Augen stellen wollen. Die neue Erklärung be- seitigt diese Schwierigkeit und zeigt uns, wo der Kaiser auf sein Knie fällt und die Hände aufhebt; sie bringt uns aber zugleich aus einer weiteren Verlegenheit, in die wir sonst durch zwei szenische Bemerkungen der gleichen Szene geraten. Als der König nämlich zum erstenmal geklopft hat, heißt es in der Anweisung: Der einsidel thiit das fenster auff, schlecht das wider zu, und weiterhin kurz bevor er öffnet: Der einsidel thut das fenster auff. Wo auf der Bühne sollte sonst dieses Fenster sich befinden, durch das der Einsiedler den Kaiser sehen kann und das sonst niemals wieder in Hans Sachsens sämtlichen dramatischen Werken erscheint? Jetzt wissen wir es: es kann sich nur um eine Klappe in jener prakti- kablen Tür gehandelt haben, durch die der Kaiser nachher herein- tritt. — Auch im Abraham des Jahres 1558 bedient sich Hans Sachs wiederum dieser Vordertür (vgl. KG. 10, S. 23 und 29 f.), und schließlich wird durch ihr Vorhandensein noch eine letzte Schwierig- keit aus dem Wege geräumt, die die Dekorationsverhältnisse in Gott Bei 1559 (KG. 11, S. 74 f.) bereiten. Es ist die Szene, in der Daniel dem König die Priester als Betrüger bezeichnet, weil sie an Stelle des Gottes das ihm dargebrachte Dank- und Speiseopfer ver- zehren. Die Probe soll gemacht werden. Wein und Brot wird vor den Gott gestellt, und die szenische Bemerkung, die den Akt be- schließt, lautet : Der König versigelt die tempelsthür und gehen alle ab. Dann kommen im Beginn des dritten Akts die Pfaffen, durch das loch, also wie wir früher ausführten, durch die von uns auf- gedeckte Altarraumthür auf die Bühne, essen und trinken und ver- schwinden auf demselben Wege. Dann heißt es : Der könig kumbt mit Danieli und den trabanten d. h. sie schreiten die vordere Treppe aus der Sakristei herauf, der König spricht vier Verse:

Daniel, siehst du? das sigil

Ist brachen weder wenig noch vil.

Macht auff die thiir und last uns ein,

Wie sich hell Bei, der groß gott mein !

Die Tür als Requisit. 73

Und nun endlich schreibt Hans Sachs vor: Sie thun die thür aiiff. Der könig schawdt hinfür .... Die hier vorgetragene Hypothese erklärt, wie mir scheint, den Bühnenhergang auf das deutlichste, dem wir sonst ratlos gegenüber ständen: die Tempeltür, die der König versiegelt hat, ist die neue Tür an der Kanzel. Indem er nun mit Daniel und den Trabanten von der Sakristeitür kommt, weist er zunächst von außen her auf das an dieser Tür angebrachte Siegel hin, spricht seine vier Verse auf jenem rechten Vorderteil der Bühne, tut die Tür auf und betritt nun mit seinen Begleitern den Hauptbühnenraum.

So sehen wir also, daß tatsächlich für die eine der wenigen in den szenischen Bemerkungen verwendeten lokalen Angaben minde- stens seit 1556 eine Art Dekorationsstück verlangt wurde. Es schiene mir aber trotzdem verkehrt, von hier aus nun einen Schluß darauf zu tun, daß auch für die Höhle, den Feuerofen usw. ähnliche Deko- rationsstücke erforderlich wären. Jene Tür, ist wie unsere ent- wicklungsgeschichtliche Betrachtung gezeigt hat, im Grunde kein Dekorationsstück, sondern eigentlich doch ein Requisit, eine plasti- sche Nachahmung einer wirklichen Tür, wie sie samt dem für das Juhandrama geforderten Fenster Zimmerleute und Maler damals gewiß ohne Schwierigkeiten herstellen konnten. Für die genauere Charakterisierung von Höhle, Feuerofen, Grubenloch und dergl. aber hätte es sich nicht um eine plastische Nachbildung, sondern um reine Dekorationsmalerei handeln müssen, und an diese zu denken dafür fehlt uns jeder Anhalt. Der lochartige Charakter der Altar- raumtür hat in diesen Fällen gewiß ausgereicht. Ebenso wenig werden wir annehmen dürfen, daß Hans Sachs für den in den Bühnenanweisungen zweier Stücke vorkommenden Baum eine be- sondere Dekoration hat malen lassen; schon in ganz anderm Zu- sammenhang!) haben wir erkannt, daß man in diesen Fällen offen- bar die Kanzel als Baum benutzt hat, möglich, daß man sie durch ein paar aufgesteckte Zweige symbolisch charakterisiert hat, wie sie anderwärts (KG. 12, S. 509, vgl. 13, S. 473) als' Requisit ver- langt werden. Daß eine Baumdekoration nicht vorhanden war, zeigt ganz deutlich auch unser HS. In der Vorlage liegt der Drache, in dessen Blut Siegfrid nachher badet, bey ei/ner linden ; Hans Sachs führt statt dessen die Höhle ein, deren Darstellung ihm keine szeni- sche Schwierigkeiten macht.

Versuchen wir nun anderseits die Frage zu beantworten: welche Angaben und Andeutungen legt Hans Sachs im Dialog seinen Personen inbezug auf die Gestaltung des Schauplatzes in den Mund?, so geschieht das natürlich nicht, weil wir annehmen möchten, daß solchen Angaben der Redenden nun auch Ausführungen der

1) Vgl. o. S. 44 f.

74 Dialog und Phantasie.

Dekorationsmaler entsprechen müßten, sondern vielmehr um zu ermitteln, ob Hans Sachs vielleicht in diesen Andeutungen des Dialogs dem Publikum einen Ersatz für nicht vorhandene Deko- rationen, der Phantasie seiner Zuschauer einen Anhalt für ihre Ergänzung bieten will. Und da fällt uns, wenn wir uns zunächst auf den HS. beschränken, der mit seinem häufigen Wechsel des Schauplatzes hier ein reiches Material bietet, sofort etwas höchst Charakteristisches ins Auge. Wenn die Handlung einer Szene in einem Innenraum spielt mag es sich um Schloß oder Hütte handeln , verschmäht es der Dichter so gut wie ganz und gar, irgend eine Person ein Wort sagen zu lassen, das sich auf das äußere Bild des betreffenden Saales oder Zimmers bezieht '). Ganz anders immerhin, wenn die Handlung im Freien vor sich geht. Ehe Sewfrid im zweiten Akt mit dem Drachen streitet, schildert er genau die lokale Situation (v. 193):

Ich suech im ivald hin vnde her, Doch sich und find ich kain koler. Ich sich in dem gestrews dort wol Ein finster, dieff, staineres hol . .

Ähnlich charakterisiert Crimhild v. 291 ff. die Zinnen des Schlosses, auf dem sie steht, als der Drache kommt; die äußere Gestaltung des Gebirges, in das Sewfrid eindringen muß, wird in verschiedenen kleineren und größeren Andeutungen anschaulich gemacht (v. 401 ; V. 404: Das pirg ist gar unmenschlich hoch; v. 407, 422, 431, 440); ebenso geht es mit Kuperons Höhle und dem sie umgebenden Schauplatz (v. 502, 511, 514, 565, 575), mit dem Drachenfels (v. 630, 637, 664, 716, 728 f.), w^eiter, wenn auch etw^as spärlich, mit dem Rosengarten (v. 937, 939) und endlich mit der Stelle im Walde, wo Sewfrid ermordet wird (v. 1062 ff.:

Ich wil mich legen zv dem prunen

Hie an den schatten von der sunen,

Vnter die linden, an den rangen,

Den schmack der gueten wuerz entpfangen,

V. 1072, 1076). Ahnen wir hier schon Hans Sachsens Absicht, der Einbildungskraft seiner Zuschauer inbezug auf die Landschaft eine gewisse Stütze zu geben, so wird uns dieser Zweck noch deutlicher klar, wenn wir bemerken, wie er in den meisten Fällen dem Publikum diese Situationen nicht nur durch auftretende Per- sonen schildern läßt, sondern es bereits in der vorhergehenden Szene auf die Landschaft vorzubereiten liebt, um die es sich in der nächstfolgenden handelt. Das geschieht im ersten Akt für den Drachenwald des zweiten (v. 164, 168, 170, 179—81, 188), für die

1) Höchstens die Andeutung v. 771 kommt in Betracht.

Innenraum und Landschaft. 75

Schloßzinne (v. 263 f.), für den Drachenstein, hier besonders auf- fallend und an sich eigentlich widersinnig, indem der Herold, Gibich und Sewfrid unmittelbar nach Crimhildens Raub (v. 316, 330, 338) schon von der Wüstenei reden, in die sie geschleppt worden ist; für den Drachenfels (v. 602, 609, 615, 618, 622), den Rosengarten (v. 843, 853, 878, 894, 915) und endlich den Mordwald, indem Gernot (v. 1043) den Brüdern sagt:

Das Sewfrid almal vmb mitag Hinaus spaciret in den wald, Legt sich zu ainem prunen kalt Ins gras, in die wolschmeckendn plumen (vgl. auch V. 1053). Für die Innenräume dagegen findet sich eine derartige Vorbereitung der Phantasie durchaus nicht. Wir erinnern uns an jenen Unterschied, den uns die reine Betrachtung des Bühnen- raumes in der Marthakirche machen heß; schon dort sahen wir: der Anblick eines Innenraums wird tatsächlich geboten, während umgekehrt für die Vorführung der freien Natur nur eine Neutrali- sierungsmöghchkeit vorhanden ist. Hier setzt offenbar die theatra- lische Arbeit des Dramatikers bewußt ein, indem sie die Zuschauer mit dem vorhandenen Bild von Saal und Zimmer vorlieb nehmen läßt, dagegen zur Erweckung eines Landschaftsbildes ihrer Phanta- sie auf dem Umwege über das Ohr fort und fort Anhaltspunkte bietet.

Um aber diese Behauptung, daß es sich hier um Absicht, um bewußte Arbeit, um Rücksichtnahme auf das Nichtvorhandensein von Dekorationen gehandelt hat, zu stützen, wird es sich emp- fehlen, noch eine doppelte Kontrolle vorzunehmen. Ersthch werden wir, um dem Theatraliker auf die Finger zu sehen, nachprüfen, ob er als Epiker in entsprechenden Situationen etwa ebenfalls in der Schilderung des Innenraums sparsam, in der Ausmalung der Land- schaft freigebig ist; in diesem Falle würden wir jene theatralische Ausdeutung dieses Unterschiedes nicht aufrecht erhalten können. TatsächKch aber zeigen wenigstens angestellte Stichproben, daß wir jenen Unterschied für Hans Sachsens epische Dichtungen nicht machen können. Den Stoff vom Hürnen Sewfrid hat Hans Sachs allerdings nicht als Erzählung bearbeitet, so daß hier also ein Vergleich sich nicht anstellen läßt; sonst aber ist ja bei ihm kein Mangel an Stoffen, die sowohl als Erzählung wie als Drama gestaltet sind, und da zeigt z. B. der Cyrus, den er episch im Mai, dramatisch im Juni des Jahres 1557 behandelt hat, in dieser zweiten Form das gleiche Verhältnis wie der HS. : vom Königssaal und von der Hirten- hütte wird im Dialog nichts gesagt, dagegen werden wir auf die Natur des Scythenlandes vorbereitet (KG. 13, S. 323, 327), und ebenso wird es während der betreffenden Szene (a. a. 0. S. 328) im Dialog charakterisiert; in der epischen Darstellung ist von solcher Diffe-

76 Innenrauin und Landschaft.

renzierung nicht die Rede. Nicht anders steht es mit dem Alexander Magnus, wo im Gegensatz zu den Innenräumen der Engpaß und dann weiterhin Indien sowohl vorbereitet wie charakterisiert werden: im Drama (KG, 13, S. 477 ff.) ; in der Erzählung ist auch hier von solcher Scheidung keine Spur.

Die zweite Möglichkeit, unsere Hypothese, Hans Sachs habe als Theatraliker mit Rücksicht auf die Besonderheit seiner Bühne ab- sichtlich jenen Unterschied gemacht, zu kontrollieren, liegt in dem Vergleich seiner Dramen mit ihrer Quelle. Übernimmt er etwa jene verschiedene Behandlung des Innenraums und der Landschaft schon aus seiner Vorlage oder führt er sie gegen deren Wortlaut erst ein oder verstärkt doch die bloßen Andeutungen seiner Quelle hinsicht- lich der freien Natur so entschieden, daß die theatralische Absicht klar wird? Daß das letztere der Fall ist, daß die Vorlage den Unterschied nicht macht, können wir schon beim HS. beobachten. Das Siegfriedslied, das der Dichter auch für den letzten Akt als einzige Vorlage gehabt hat^), sagt in bezug auf den Ort der Ermor- dung nur (177, v. 6 ff.):

Ob eynem prunnen kalt Erstach jn der grymmig Hagen Dort auff dem Ottenwaldt. Von der genauen Ortsschilderung, die Sewfrid selbst, bevor er einschläft, gibt, ist also nicht die Rede, und noch viel weniger von jener Vorausschilderung des Ortes, die Hans Sachs in dem voran- liegenden Gespräch der drei Brüder bietet. Ebensowenig ist in der Quelle das Schloßdach vorbereitet, auf dem Crimhilt steht-^), oder das wüste Gebirge, in das der Drache mit der Königstochter sich begibt; die vorhergegebenen Hinweise auf Drachenwald, Drachen- fels und Rosengarten sind im Liede wenigstens minder deutlich. Die gleiche Beobachtung können wir nun auch machen, wenn wir etwa jenes Cyrus- Drama und den Alexander Magnus mit ihren Quellen vergleichen : die oben beobachtete Vorbereitung des PubH- kums auf die landschaftliche Situation des Scythenreiches fehlt bei Herodot und Justinus, und ebenso ist im Plutarch von dem Gebirgs- engpaß und der indischen Landschaft des Alexander - Dramas vorher nicht die Rede. Dagegen entspricht die Behandlung dieser Verhältnisse in Hans Sachsens epischen Gestaltungen desCyrus- und des Alexander-Stoffes genau dem Zustand der Vorlagen : ganz deutlich wird es also, daß es nicht allgemein dichterische, sondern speziell theatralische Erwägungen gewesen sind, die den Dramatiker

1) Ich stimme hierin dunliaus mit Drescher, Studien zu Hans Sachs I. Berlin 1890, überein.

2) Im Lied ist es ein Fenster, von dem aus sie dem Turnier zusielit, die Ausmahmg dieser Situation konnte Hans Sachs der Phantasie seiner -Zuscliauer nicht zunniten und führte deswegen die Zinne ein.

Innenraum und Landschaft. - 77

ZU solchem Verhalten bestimmt haben. Nichts scheint der Dichter innerhalb des Dialogs der Phantasie seiner Zuschauer zu bieten, wo der Ort der Handlung ein Schlachtfeld ist: beim Anblick der kämpfenden Kriegergruppen sagte sich das Publikum ohne weiteres, daß der Schauplatz jetzt kaum ein Zimmer sein konnte, und wir können auch hier wieder auf die Analogie mit der bildenden Kunst hinweisen, die, wie schon oben betont wurde, noch damals Kämpfer gern in die leere Luft stellte.

Den tatsächlichen Zustand des auf seiner Bühne vorhandenen Innenraums, für den er, wie wir sahen, im allgemeinen keine besondere Arbeit aufwendete, hatte Hans Sachs doch insofern im Auge, als er die Vorführung von Innenräumen, die dem vorhande- nen Bühnenbild gar zu grob widersprochen hätten, sichtlich ganz vermied'). Wieder müßte eine lückenlose Vergleichung der Dramen mit ihren Vorlagen diese Behauptung bestätigen ; besonders deutlich wird es in dem Drama Beritola aus dem Jahre 1559. In Hans Sachsens Vorlage, der bekannten Erzählung aus Boccacios Decamerone, sitzt die entflohene unglückliche Fürstin auf der ein- samen Insel in einem alten finstern Gemäuer; der Herzog und die Herzogin kommen zu ihr in dieses Gemäuer hinein und bereden sie hier, die Insel mit ihnen zu verlassen. Hans Sachs macht nicht nur aus dem Gemäuer eine Höhle, deren Eingang die Altarraumtür besser vorstellen konnte als ein altes Gemäuer, sondern er verlegt auch jenes Gespräch aus der Höhle heraus in die freie Landschaft, in die Beritola zu den Besuchern heraustritt: das Innere einer dunklen Höhle vorzustellen, war die Bühne nicht geeignet. Weiter spielt eine Situation der Erzählung im Kerker, in den der eine Sohn der Beritola geworfen ist: einer der Kerkermeister unterhält sich mit ihm und erzählt ihm die große Neuigkeit, die die Stadt erfüllt. Hans Sachs bietet (KG. 16, S. 123 ff.) die gleiche Unterhaltung, er läßt sie aber nicht im Kerker vor sich gehen, sondern zunächst führen, im übrigen ganz unmotivierter Weise, die Trabanten den Gefangenen aus dem Kerker heraus, als dessen Eingang das Publikum die Altarraumtür vor sich sah. Wieder ist es deutlich : Hans Sachs war sich klar, daß seine Bühne einen dunklen Kerkerraum nicht darzustellen vermochte.

Als Gesamtergebnis dieser Betrachtungen haben wir demnach fest- zuhalten : eigentliche Dekorationen sind auf der Meistersingerbühne nicht vorhanden gewesen. Es ist also noch derselbe Zustand, der in einem 1534 zu Nürnberg anonym erschienenen Susanna-Drama angedeutet wird, wo im Prolog ausdrücklich von dem Garten, in dem die Handlung einsetzt, gesagt wird:

Diser gart ist gar hhbsch und schon Von kreutern vnd vil beumen griin,

1) Vgl. auch die oben erwähnte Umwandhing des Fensters in das Schloßdach im HS.

78 Keine Dekorationen. Requisiten.

Welchen so euch zu sehen glust, Gar scharpff brillen jr haben musÜ). Fast fünfzig Jahre später schreibt der Nürnberger Kaufmann Bal- thasar Paumgartner aus Lucca in ItaUen einen Brief an seine Braut Magdalene Behaim in Nürnberg (15. Dez. 1582)2) und berichtet von den Mittehi, mit denen er außerhalb seiner Geschäftszeit die Langeweile sich zu vertreiben suchte : Die zeitt ein weil mitt den comedyen zu- sehen zu gebrachtt, mitt solchen aber auch schon ein end hau. Nach den weijhenachtt feyrtagen aber sollen anndere herkommen, sind aber gegen euern spyeln im s. Martha vnnd prediger closter nicht zu vergleichenn. Offenbar bezieht sich dieser unvergleichliche Vorzug des italienischen Theaters nicht nur auf die Mitwirkung von Frauen, die Paumgartner hervorhebt, weil das natürlich seine Braut besonders interessieren muß, sondern auch auf die dekorative Aus- stattung, die wie oben angedeutet, in Italien damals schon weit vorgeschritten war, während sich die Meistersingerbühne noch immer ohne Dekorationen behalf. Durchaus zu verwerfen ist aber ander- seits die populäre Vorstellung, die ja bei gelegentlichen Aufführungen Hans Sachsischer Stücke heute oft in die Praxis übertragen wird, als ob beim Wechsel des Schauplatzes durch einen angehefteten Zettel das Publikum über den neuen Ort der Handlung unterrichtet worden wäre. Wir haben gesehen, durch welche Mittel Hans Sachs sein Publikum zu lenken wußte; er spricht zu ihnen gewissermaßen dasselbe, was in Shakespeares Heinrich V. der Chor zu den engli- schen Zuschauern sagt:

Still be kind, And ehe out our Performance with your mind.

Requisiten.

Unter Requisiten verstehen wir, wie schon im Eingang des die Dekoration behandelnden Abschnittes auseinandergesetzt wurde, diejenigen auf der Bühne verwendeten Gegenstände, die im Gegen- satz zu den nur in zwei Dimensionen ausgeführten Dekorationen in drei Dimensionen vorgeführt werden. Solchen Requisiten gegen- über ergibt sich auch für die Bühne der Meistersinger eine doppelte Frage : erstens, welche Requisiten werden verlangt und wie werden sie hergestellt? und zweitens, wie kommen die Requisiten auf die Bühne, wohin werden sie hier gestellt, sobald sie nicht nur in den Händen der Schauspieler bleiben, und endlich, wie werden sie wieder

1) fol. Aijb. Zitiert aucli liei G e n ö e , Lehr- und Wanderjahre des deutschen Schau- spiels, Berlin 1882, S. i;5().

2) Briefwechsel Balthasar Pauniyarlner.s des Jüngeren mit seiner Gattin, herausgegeben von Sleinhausen (Stullg. Lil. Verein 1895) S. 9 f.

Die Materialfrage. 79

von der Bühne fortgeschafft? Das erste ist also wesentlich eine Material-, das zweite eine Lokalfrage.

Wir beginnen nun für die Beantwortung der Frage nach dem Material mit dem HS. und halten uns wie immer in erster Reihe an die szenischen Bemerkungen, die uns auch hier wieder im all- gemeinen das theatralische Element darzustellen scheinen. Ganz Theater ist z. B., wenn im „Florio" 1551 KG. 8, S. 327, der Held sagt : Gieb ein sack mit ducaten her! und die Bühnenanweisung dann vor- schreibt: Hertzog Ascheion geit im ein sack. Einen Sack schlecht- weg, nicht einen Sack mit Dukaten, wie der Epiker hier gesagt haben würde: der Regisseur wird natürhch nicht den Sack mit Dukaten füllen. In den Bühnenanweisungen des HS. werden nur verlangt: zwei Hämmer, Amboß und Korb für die Schmiede ; Schlüssel, stäh- lerne Stange, Streitaxt und andere Waffen für den Riesen und für Sewfrid ; eine Nebelkappe, eine Wurzel und eine goldne Schale voll confect für den Zwerg; ein dünnes Tüchlein für Crimhilt, wie auch vorher Sewfrid schon ein facilet verwendet; endlich der Dolch zu Sewfrids Ermordung und Reisig, um seine Leiche zuzudecken. Es fragt sich zunächst, ob tatsächhch nur diese in den szenischen Bemerkungen genannten Gegenstände verwendet oder ob etwa auch Dinge, von denen im Dialog die Rede ist, vorgeführt worden sind: ob wir also etwa aus den Worten des Schmiedes (v. 136) : Nun so plas auf, und halt palt ein! auf das Vorhandensein eines Blasebalgs schheßen dürfen. Da ein solcher Blasebalg für den Fortschritt der Handlung völlig entbehrlich ist, so werden wir uns die bei der Besprechung der Dekorationen gemachten Erfahrungen zunutze machen dürfen und annehmen, daß der Dichter mit einem solchen Hinweis lediglich der Phantasie seines Publikums einen Hinweis für die lebendige Vorstellung des Miheus geben wollte. Natürlich ist es nicht ausgeschlossen, daß er einmal die szenische Bemerkung, die von einem unentbehrlichen Requisit berichtet, niederzuschreiben vergißt, und ein solcher Fall liegt auch im HS. vor, wo Crimhilt nach dem Kampf im Rosengarten zu dem siegreichen Dietrich nur spricht (v. 992f.):

Nembt hin das rosenkrenzelein,

Darzw mein vmefang und kues,

wo aber dann eine szenische Bemerkung über die Bekränzung nicht folgt. Die langverheißene Vorführung dieser Krönung ist natür- lich auch für das Auge unentbehrlich, und daß wir hier keinen Fehlschluß tun, beweist uns der Dichter selbst, indem er in dem ersten Drucke des Werkes den betreffenden Zusatz einfügt:

Sie setzt im den krantz auff, vmbfecht in, gibt im ein kuß^).

1) Diese Stelle steht zwar auch in Goetzes Neudruck der Se'W'frid-Handschrift, ist aber nur ein dem Druck entnommener Zusatz des Herausgebers (vgl. Vorwort p. Vni).

80 Die szenischen Bemerkungen.

Ähnliches läßt sich auch anderwärts beobachten; so kann man z. B. in der Opferung Isaak 1553 (KG. 10, S. 69) nur aus dem Dialog entnehmen, daß die Knechte das Holz für die Herrichtung des Opfers auf die Bühne gebracht haben: in der erweiterten Fassung des Stückes aus dem Jahre 1558 dagegen (Abraham, Lott, sampt der Opfferiing Isaac KG. 10, S. 52) heißt es von den Knechten in der Bühnenanweisung ausdrücklich: die tragen gespalten holtz imnd ein kolfewr. Häufig wird namentlich das Requisit dort noch nicht erwähnt, wo es auf die Bühne gebracht wird, obwohl es doch schon hier zu erwarten wäre, sondern erst viel später (z. B. KG. 13, S. 299, S. 301 ; 13, S.313, S. 315; 13, S. 25, S.27). Hans Sachsen mag in solchen Fällen erst während der Abfassung der Szene das Vor- handensein des Requisits als wünschenswert oder notwendig erschie- nen sein. Doch das sind verhältnismäßig seltene Ausnahmen. Im allgemeinen werden wir unsere Betrachtung auf die Requisiten zu beschränken haben, die in den Bühnenanweisungen erwähnt sind.

Umgekehrt fragt es sich nun aber: sind diese Requisiten auch wirklich alle vorhanden, alle erreichbar oder herstellbar gewesen? In den meisten Fällen wird man ja einfach mit den wirklichen Gegenständen selbst auf der Bühne haben agieren können; aber ihrer Verwendung waren doch auch